(Ari Nadkarni)

Dem Chef des Konzerns kamen die Tränen in die Augen, als er nach dem Ende der Gerichtsverhandlung vor der Presse verkünden musste, dass sein Konzern enteignet werden würde. Da er eine große Hornbrille trug, lautete die Schlagzeile am nächsten Tag: „Heulende Eule verliert halbes Hähnchen“.
Jedenfalls regulierte der Staatenbund nun die Informationsbeschaffung und informierte seine Bürger über mögliche Anschläge auf sie. Anfangs geschah dies noch per E-Mail, doch als sich die Fälle häuften, in denen Menschen ums Leben kamen, einzig weil sie ihr Passwort vergessen hatten oder die Nachricht unter all den Werbemails untergegangen war, wurden neue Maßnahmen ergriffen und jeweils am Tag vor einer Ermordung oder einem Totschlagfall ein Artikel darüber in der Illustrierten inseriert, sodass sich die Nachricht darüber wie ein Lauffeuer verbreitete und der Betroffene, auch wenn er selber nicht las, von seiner sozialen Umwelt darauf angesprochen wurde und die nötigen Maßnahmen ergreifen konnte, sein Leben zu retten. So stieg die Popularität der Tageszeitungen, die sich seit einem Jahrhundert in der Krise befanden, wieder immens an. Die Regierung konnte an Kosten für Polizeiarbeit sparen und niemand, der kein außerordentlicher Außenseiter war, lief noch Gefahr, umgebracht zu werden. Außer dass ein paar witzige Redakteure sich von Zeit zu Zeit spektakuläre Todesprophezeiungen ausdachten, um am nächsten Tag über die spektakulären Selbstrettungsversuche berichten zu können, lief alles nach Plan.
So lebten die Menschen ein paar glückliche, friedfertige Jahre auf der Erde. Und sowohl Henne als auch halbes Hähnchen, denen mittlerweile der Friedensnobelpreis überreicht worden war, wurden immer leistungsstärker. Im Jahr 2130 gipfelte dies in insgesamt 48 Milliarden Botschaften, was Individuen ganz private Vorhersagen ermöglichte. Nichts war nun mehr ungewiss.
Doch eines Tages – oh Schreck – kam plötzlich keine Botschaft mehr an. Woran konnte das liegen? Allgemeine Panik machte sich breit, große Angst vor der Zukunft kehrte in die Herzen der Menschen ein, so dass kurzerhand eine globale Telefonseelsorge eingerichtet werden musste, die mit einer halben Millionen Beratern immer noch völlig überlastet war. Elektroniker und Techniker wussten Hahn und Henne nicht zu helfen. Nanophysiker wurden zurate gezogen, selbst Biologen und zuletzt Philosophen verzweifelten an der Frage, warum keine Botschaften mehr kamen.
Erst ein Jahrtausend später – ferner Zukunft – kam die Antwort. Man hatte sich ja nie gefragt, woher die Botschaften aus der Zukunft eigentlich kamen. Natürlich von einer deutlich späteren Generation, die das Schlechte in der Vergangenheit schon erlebt hatte. Und da es in ihrer Vergangenheit schon geschehen war, hatten sie nach einer Weile des Experimentierens schließlich das Interesse daran verloren, einer anderen Vergangenheit kontinuierlich und ohne Gegenleistung Vorhersagen zukommen zu lassen – zumindest, wenn es 48 Milliarden im Jahr sein sollten.
So lebten die Menschen ohne Prophezeiungen weiter, ältere Damen mit Kristallkugeln kamen wieder ins Geschäft und man musste anerkennen, dass das Leben mit Fragezeichen auch gar nicht so schlecht war.

Zurück zur letzten Entscheidung.

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