Kurzgeschichten, Fabeln uvm.

Sie hat geglaubt, sie würde in Ruhe älter werden, lächelnd auf das Ich des Vorjahres zurückblicken, glücklich sein. Doch jetzt hockt, liegt oder steht sie in der Ruine ihres Hauses, ihres Gartens oder ihrer Existenz – ich bin noch unentschlossen. Sicher ist, dass ihr Hemd zerrissen ist. Nicht umsonst habe ich auf den Seiten zuvor ihre so ansprechende Figur beschrieben. Schmutzig ist sie nun. Möglicherweise sogar von etwas Erde bedeckt. Oder Asche? Eine einzelne Träne, die eine helle Spur über ihre Wangen zieht? Zu viel?

Malte Klingenhäger Kurzgeschichte: Mein Drei-Tage-Bart lügt

18 Minuten. Das ist exakt die Zeit, die ich jeden Morgen für mein Styling brauche. Optimierte Bewegungen, topmoderner Bartschneider, Motivationsmusik aus meinem Schlafzimmer – Dinge, über die man lachen könnte, über die ich selbst lachen könnte, wenn 18 Minuten nicht eine Ewigkeit wären – durch die ständige Wiederholung noch einmal gedehnt – die ich lieber im Bett verbringen würde. Nackt, warm und unendlich glücklich.

Malte Klingenhäger Kurzgeschichte: Außergewöhnlich

Es ist ein unangenehmes Gefühl, wenn man sich aus Versehen selbst zuhört und mit Erschrecken feststellt, dass die eigenen Worte so gar nicht zu einem passen wollen. So wie gestern Abend. Während des Flirts mit dieser jungen Schönheit, dessen Erfolg ich jetzt dafür verantwortlich mache, dass ich heute wahrscheinlich zu spät zur Arbeit kommen werde. Ich renne in meinem Anzug ungelenk zur Bushaltestelle. Mein kleiner, schwarzer Koffer schlägt mir immerzu in die Kniekehlen. Ich nehme das zum Anlass, noch schneller zu laufen. Als wäre ich auf der Flucht vor den studentischen 26 Jahren, die daheim bei mir im Bett liegen und die mir doch eigentlich nur beweisen sollten, dass ich es mit 40 noch drauf habe.

Zigarette – Photo: Tomasz Sienicki

„Du rauchst zuviel“, sagt Ben und kaut intensiv auf einem Zahnstocher. Vielleicht hat er heimlich Sehnsucht nach der Zigarette, die ich mir gerade anzünde.
„Mach es mir besser nicht madig“, weise ich ihn mürrisch zurecht und wuchte meine Beine vom Schreibtisch. Ich bin irritiert und auch ein wenig besorgt. Ben hat sich noch nie um meine Gesundheit gekümmert. Betritt das heutige Treffen irgendeinen neuen Pfad?

Die Bässe kitzeln auf meiner Haut, als ich die großen Boxen passiere, die den Halleneingang flankieren. Beiläufig nehme ich die warme Hand meines Trainers auf meiner Schulter wahr. Ich schaue immer wieder kurz auf. Die Ränge haben sich noch nicht ganz gefüllt, überall blitzt das Rot der leeren Stühle hervor. Snobs. Greifen nicht den ganzen Wert ihres Tickets ab, kommen nur zu den Hauptkämpfen. Manchmal hasten sie sogar vorher aus der Halle, damit sie schneller aus dem Parkhaus kommen.
Die kümmern mich nicht.

Deine Avancen damals. Deine. Boris drückt aufs Gaspedal. Wenn sie sich schon darüber streiten, von wem die erste Annäherung ausgegangen ist, dann sind die Weichen für den garstigen Verlauf der nächsten Wochen gestellt. Eine Diskussion darüber, welcher der Partner der vermeintlich Verantwortliche für die Beziehung ist, fällt schon in die Insolvenzverwaltung derselben.