Malte Klingenhäger

Schöpfungskrise

06-2013-Malte-Kurzgeschichte-SchöpfungskriseSie hat geglaubt, sie würde in Ruhe älter werden, lächelnd auf das Ich des Vorjahres zurückblicken, glücklich sein. Doch jetzt hockt, liegt oder steht sie in der Ruine ihres Hauses, ihres Gartens oder ihrer Existenz – ich bin noch unentschlossen. Sicher ist, dass ihr Hemd zerrissen ist. Nicht umsonst habe ich auf den Seiten zuvor ihre so ansprechende Figur beschrieben. Schmutzig ist sie nun. Möglicherweise sogar von etwas Erde bedeckt. Oder Asche? Eine einzelne Träne, die eine helle Spur über ihre Wangen zieht? Zu viel?
Ohnehin nur ein verspielter Kontrast zu ihrer Schönheit, ohnehin nur der Versuch, sich vor dem nächsten Kapitel zu drücken. Je tiefer der Fall, desto befriedigender die Wiederauferstehung, dass gilt auch hier. Aber ich bin einfach zu müde, fühle mich heute Nacht ähnlich abgekämpft wie meine Heldin. Zu kaputt, als dass ich ihr die nötige Hand reichen könnte, um sie ins grelle Licht ihrer verdienten Rache zu führen. Method-Writing? Fehlanzeige. Ich bin Schriftsteller geworden, weil die Schauspielerei mir zu anstrengend war. Aber wie ich festgestellt habe, ermattet auch das Tippen. So müde – da bleibt mir nur, schlaftrunken wie ich bin – ein wenig an ihrem Leid zu feilen, das geht immer. Der Weg zu einer triumphalen Rückkehr ist in diesem Business ungnädig. Nur mehr Leid rettet die Geschichte, wie meine Agentin sagt. Je härter das Schicksal, desto stärker die Heldin. Ich gähne. Es muss sich lohnen, denke ich noch, kein Licht ohne Dunkelh-

Ein Schlag, der durch meinen Kopf fährt. Stechender Schmerz in meiner Nase, Druck auf den Ohren – ich schrecke hoch, fühle mich, als hätte ich etwas verloren. Ich suche hektisch nach der Brille, die leere Kaffeetasse fällt vom Tisch. Hand findet Brille, massiert Schläfe, hebt Tasse vom Boden, Körper richtet sich auf, Herz kommt langsam zur Ruhe. Ein tiefer Atemzug und die Gedanken drängeln sich wieder vor die Reflexe. Ich muss eingenickt und nach vorne auf die Tastatur gefallen sein, weil – dort klebt Blut. Erschrocken fasse ich mir an die Nase. Auch dort spüre ich eine dünne Kruste. Das Blut ist schon getrocknet, also war es nicht der Aufprall, der mich geweckt hat. Eigenartig. Ein Gefühl der Ohnmacht ist mir beim Schreiben nicht unbekannt, aber das heißt nicht, dass ich wirklich mein Bewusstsein verliere, oder –

Ich träume. Die kleine Gestalt, die oben links auf meiner Tastatur hockt und verzweifelt versucht, die Eingabe-Taste herauszureißen, ist ein sicherer Indikator. Eine Frau im Miniaturformat, dunkelhaarig, schlank. Sie wirkt abgekämpft in ihrem zerrissenen … Moment, sie ist es tatsächlich. Wirklich schön ist sie geworden. So bezaubernd, die Schöpfung, die Göttin meiner Worte, dass mich Stolz erfüllt, während ich sie dabei beobachte, wie sie sich unbarmherzig an meiner Tastatur abmüht. Ich beuge mich vor, will ihre filigranen Gliedmaßen, ihre kleinen Hände betrachten, die  frustriert auf die Taste schlagen, doch die Perspektive stimmt nicht. Wenn ich mich zu ihr hinunter beuge, scheint sie noch immer weit entfernt zu sein. Strecke ich meine Hand nach ihr aus, verlängert sich mein Arm zu einer langen Röhre, deren Ende ich nur noch unsauber steuern kann, weil sie sich nach unten hin so sehr verjüngt. Mir wird schwindlig. Mit einem Stift versuche ich, meine Heldin vorsichtig anzustupsen, doch im letzten Moment bemerkt sie die Spitze des Kugelschreibers und weicht geschickt aus. Sie schimpft jetzt. Laut, energisch und unverständlich brüllt sie zu mir hinauf. Das ist mir peinlich, denn irgendwie ist sie ja auch ein Mensch und da ist einfach anstupsen ein bisschen frech. Mir ist unangenehm, dass sie sich nicht beruhigen will. Ich habe Angst, sie direkt anzusprechen, wer weiß schon, ob meine Stimme ihr das Trommelfell zerrreist.
‚tschuldigung, flüstere ich, so leise ich nur kann. Sie antwortet, indem sie eine der Pfeilasten aus der Verankerung reißt und mir entgegen schleudert. Dann tritt sie meinen Stift fort. Sie brüllt wieder. Es klingt frustriert, wütend und hilflos zugleich. Ich aber bin beeindruckt, demoliert der Däumling aus meiner Phantasie doch grade meine Schreibutensilien. Sie probiert sogar erneut, die größere Eingabetaste herauszureißen, was ihr aber nicht gelingt. Stattdessen zieht sie jetzt ihre Hose herunter und –

Sie scheißt tatsächlich auf meine Eingabetaste. Alter! schreie ich und sie muss sich ihre Ohren zuhalten. Ich schubse sie zur Seite – sie ist viel schwerer, als sie aussieht, aber so etwas sagt man einer Dame nicht, selbst wenn sie sich nicht damenhaft verhält. Jedenfalls wische ich ihr kleines Häuflein mit dem Zeigefinger fix fort, bevor sie ihre Hose wieder hochgezogen hat und zurückgestürmt kommt, um nach meinem dürren Finger zu greifen. Ich finde das Ganze überraschenderweise gar nicht eklig und wische meine Hand ungeniert an einem Taschentuch ab. Es ist Fliegenschiss, wörtlich und kaum zu riechen. Trotzdem schüttel ich den Kopf über ihre Verzweiflungstat und seufze. Die winzige Frau zetert immer noch. Mitleidig schaue ich sie an. Das scheint sie unerklärlicherweise zu beruhigen. Erst jetzt fällt mir auf, dass an ihrem Körper Blut klebt, obwohl sie unverletzt zu sein scheint. Sie scheint in die kleine Blutlache gefallen zu sein, die meine Nase auf der Tastatur hinterlassen hat. Ihre Füße haben hier und dort rote Kleckse auf dem abgegriffenen Plastik hinterlassen. Wir schauen uns an und ich hoffe, dass mein Blick ihr klarmacht, dass ich ein klein wenig Verständnis für ihre Situation habe. Dass ich mich verantwortlich fühle. Ja, dass ich sogar in Erwägung ziehe, ihr direkt nach dem Aufwachen einen Love-Interest in die Geschichte zu schreiben. Irgendeinen annehmbaren Recken, der ihr das Abenteuer versüßt, sie bei ihrer Rache unterstützt und sich kurz vor dem Finale noch einmal von ihr knattern lässt. Vielleicht schenke ich ihr auch irgendetwas wirklich Brauchbares. Ich will jedenfalls netter zu ihr sein, egal, was meine Agentin dazu sagt.
Meine Heldin kneift derweil die Augen zusammen und scheint abzuwägen. Ich sehe das positiv, denn immerhin schreit sie nicht mehr wie blöde, doch plötzlich hüpft sie mir mit einem gewagten Sprung von der Tastatur entgegen. Ich zucke zurück, aber schon hat sie eine der Kordeln gegriffen, die von meinem Kapuzenpulli herabbaumeln. Mit einer unglaublichen Kraft reißt sie mich nach vorne. Mir bleibt die Luft weg, als mein Gesicht in ihre Richtung – die Richtung von Tastatur und diesem winzigen, missmutigem Gesicht – fliegt. Ich frage mich noch, warum sie jetzt eine solche Gewalt auf mich ausüben kann, wo sie doch am Plastik der Eingabetaste scheiterte, dann kracht mein Gesicht frontal –

Sonnenstrahl im Gesicht, Vogelgezwitscher an meinem Ohr, ein Spalt meines Dachgeschossfensters öffnet meine kleine Wohnung der filmreifen, frühen Morgenstunde. Ich spüre Schmerz in der Nase, als wäre eine Armee hindurch marschiert, doch weder sehe noch ertaste ich Blut auf der Tastatur oder in meinem Gesicht. Die Pfeiltaste sitzt an ihrem Platz. Ich popel ein wenig in meiner Nase, bin fasziniert davon, wie empfindlich sie noch ist. Bin ich auf der Tastatur eingeschlafen? Es scheint so. Erstaunt verfolgen meine Augen die Sätze, die ich als letztes geschrieben habe. Ich kann mich nicht daran erinnern. Meine Heldin steht nun aufrecht, keine Träne, nur Stolz, ungebrochen und mit einem Plan für Gerechtigkeit, die sie der Welt abringen möchte. Ich bin schon ein bisschen verliebt, aber wer wäre das nicht. Verträumt bemerke ich nicht, wie der Wind ein zerknülltes Taschentuch von meinem Tisch weht.

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