Malte Klingenhäger

rot, blau, grün

Die Bässe kitzeln auf meiner Haut, als ich die großen Boxen passiere, die den Halleneingang flankieren. Beiläufig nehme ich die warme Hand meines Trainers auf meiner Schulter wahr. Ich schaue immer wieder kurz auf. Die Ränge haben sich noch nicht ganz gefüllt, überall blitzt das Rot der leeren Stühle hervor. Snobs. Greifen nicht den ganzen Wert ihres Tickets ab, kommen nur zu den Hauptkämpfen. Manchmal hasten sie sogar vorher aus der Halle, damit sie schneller aus dem Parkhaus kommen.
Malte Klingenhäger Kurzgeschichte: rot, blau, grünDie kümmern mich nicht. Im Pulk meines Teams gehe ich entschlossen auf den Ring zu. Die Jungs sind aufgeregt, reden mir zu, ohne mich anzusehen, ohne dass ich hören könnte, was sie sagen. Sie schirmen mich gut ab, schlagen Hände zur Seite, die nach mir greifen. Das schon anwesende Publikum ruft erwartungsvoll, misst sein Stimmvolumen an der lauten Musik, die grade läuft und schafft es tatsächlich, mit seinem Gekreische und Gejohle zeitweilig alles andere zu übertönen. Für euch mach ich das, werde ich später vielleicht sagen. Für mich mach ich das, darf ich mir grade erlauben zu denken.
Es ist der erste Kampf des Abends und meine Unterhaltungsfreier da draußen sollen für den Abend in Stimmung kommen. Hoffentlich gelingt uns das, mir und meinem Gegner, denn zumindest optisch bieten wir Abwechslung. Er ist ein schon etwas älterer Russe, der heute seinen ersten Kampf bestreitet. War vorher Gewichtheber oder so, ist viel kürzer als ich und dreimal so breit. Mehr weiß ich nicht von ihm.
Die Musik für meinen Weg zum Ring durfte ich mir selbst aussuchen. Sie soll mich und meine Fans anfeuern, hieß es, aber sie ist schon nach einer halben Minute vorbei, weil die Halle so klein und der Weg entsprechend kurz ist. Fans habe ich in diesem Land ohnehin keine. Ich bin ja selbst in meinem eigenen noch unbekannt.
Ich steige nun durch die Seile, die mein Trainer und ein Kollege mir aufhalten, nachdem der Ringrichter mich routiniert inspiziert hat: Mundschutz, Tiefschutz, Handschuhe korrekt abgezeichnet, trockene Haut und bereit loszulegen? Ich werde Sie nicht aufhalten, junger Mann – sie haben alle so ihre Sprüche. Dieser hier ist groß, breit, hat einen gemütlichen Bauchansatz und verströmt die nötige, beruhigende Gewissheit, für die Einhaltung der Regeln sorgen zu können, die hier gelten.
Ich frage mich, was für Regeln in meinem Kopf gelten, was ihn grade beobachten, zynisch kommentieren oder gleich gänzlich abschweifen lässt. Konzentrieren werde ich mich erst, wenn die Glocke läutet. Dann fällt mir der Fokus leicht. Vorher langweilt sich mein Hirn, obwohl der Körper schon Adrenalin pumpt. Das ist etwas Besonderes. Ich werde vor einem Kampf nicht nervös, zumindest nicht nervöser als sonst. Mein Körper, der spürt den Stress. Ich spüre meinen Magen am Tag vor einem Kampf, ich kann nachts nicht gut schlafen und weiß nicht warum. Erst wenn es wirklich los geht, scheinen Körper und Geist wieder an einem Strang zu ziehen. Wie ein Team, dass nur unter Druck bewusst zusammenarbeitet und sonst bloß geschickt nebeneinander her existiert.
Mein Trainer brüllt mir letzte Anweisungen ins Ohr. Er würde auch brüllen, wenn es um uns herum nicht so laut wäre. Er passt seine Persönlichkeit nicht dem Kämpfer an, wie es manch andere Trainer tun. Dann wäre er jetzt ruhiger. So muss ich darauf achten, im richtigen Augenblick zu nicken, sonst wiederholt er alles und sowas stresst mich wirklich. Ich brauche Abwechslung, sonst stände ich nicht hier.
Meine Musik bricht ab, eine neue ertönt. Der Russe – mir fällt ein, dass er bei der Gewichtsmessung gestern sehr sympathisch wirkte – kommt jetzt heraus. Tatsächlich hat er sich für traditionelle Klänge aus seiner Heimat entschieden, fast ein wenig kitschig. Das ist angenehm an diesem Sport, man trifft einen hohen Prozentsatz von Leuten, die niemandem außer sich selbst noch etwas beweisen müssen. Leider hat dieser Typ Kämpfer es immer etwas schwerer, weil er mit Können ausgleichen muss, was seiner Vermarktbarkeit abgeht. Dafür ist sein Erfolg meist nachhaltiger.
Ich hätte mir den Namen des Russen merken sollen, aber ich achte immer nur auf die unwichtigen Details. Gang, Gesichtsausdruck, typische Gesten, wie der Griff zur Nase, wenn er eine Frage beantwortet. Wie ich ihn jetzt auf dem Weg zum Ring beobachte, scheint er eine völlig andere Person zu sein. Angespannt, nervöser Blick. Haben viele. Das ist nicht zwangsläufig ein Handicap. Nervöser als ich sind sie fast alle. Aber es könnte sein, dass er entspannt, sobald der Kampf beginnt und sich konzentriert. Dann lässt ihn das Adrenalin, das ihn grade pusht, im Stich und plötzlich: Müdigkeit. Ich wage schon fast, mir Hoffnungen zu machen. Es ist immerhin sein erster echter Kampf. Wenn seine Kondition einbricht, könnte ich trotz der kümmerlich kurzen Trainingszeit, die hinter mir liegt, vielleicht mit ihm gleichziehen. Mein Trainer brüllt mir zeitgleich zu diesem Gedanken ins Ohr, ich sollte auf mein ‚Pacing‘ achten und mich nicht zu früh verausgaben. Er weiß, dass ich mehr hätte laufen müssen in den vergangenen Wochen. Aber die Vorwürfe weichen an den Tagen vor dem Kampf den Fakten, dem Plan und der Motivation. Mein Trainer ist zwar kein Sportpsychologe, aber weiser, als man von jemandem glauben würde, der einen beträchtlichen Teil seiner Karriere darauf aufgebaut hat, sich gegen die Birne hauen zu lassen. Zum Glück für mich, muss ich nicht bloß boxen. Blaue Flecken gibt es trotzdem. Heute rot, morgen blau, in einer Woche grün.
Der Russe steht jetzt im Ring, blickt immer wieder nervös zu seinem Trainer, anstatt „ein Gefühl für Bretter zu bekommen“, wie mein Team das nennt.
Manchmal schaut er kurz zu mir herüber, aber verschwenden vor dem Kampf keine Energie aufeinander. Wir zeigen uns nur kurz an, dass wir vor Beginn als Zeichen des Respekts und Fair Plays einen kurzen Handschlag machen wollen.
Ich merke jetzt deutlich, dass er nervöser ist als ich. Die Art, in der sein Team mit ihm redet, verrät ihn. Für sie geht es um etwas. Karriere, rückversichernde Legitimation oder Qualifikationen, falls er einmal als Trainer arbeiten will. Ich bin in solchen Augenblicken froh, auf nichts in diesem Sport angewiesen zu sein. Ein Luxushobby, das ich nur besonders ernst nehme. Ein Luxus, weil ich mir nicht einreden brauche, dass Unterhaltung und Sport für das Überleben der menschlichen Rasse unabdingbar sind, bloß um mir und der Welt einzureden, das mein Tun etwas bedeutet. Ich bin ein Altenpfleger, der seine Rückengymnastik etwas exzessiver betreibt. Mehr nicht. Schon gar kein Star.
Wahrscheinlich bin ich aus dem gleichen, ehrlichen Grund hier, der auch das Publikum hertreibt. Unterhaltung. Kompetitiver Sport. Kein Bullshit. All die Werbung, die Ringgirls, die Show ist vergessen, wenn wir gleich loslegen. Das geht uns so, das geht den Zuschauern so. Drama ohne Script. Echtes Reality TV im Showkontext.
Ich erlebe dann Augenblicke, in denen ich mich wie ein Ganzes fühle. Vielleicht ist es nicht wirklich eine Einheit von Körper und Geist, denn ich habe keine Ahnung, wie sich Reflexe da einordnen lassen, aber es passt eben alles.
Alles, bis auf meine Hauptstilrichtung, die der Ansager grade nennt. Ich bin zu spät hergekommen und mein Trainer musste die ersten Formulare ohne mich ausfüllen. Da niemand etwas über mich weiß, hat er mich als Kickboxer ausgegeben, was in Wahrheit so ziemlich meine mieseste Disziplin ist. So wird der Gegner vielleicht erst einmal vorsichtig sein, solange der Kampf im Stehen geführt wird. Eine perfekte Irreführung.
Ich merke jetzt, wie mein Fokus sich verengt, als ich vom Ringrichter für die letzten Instruktionen in die Mitte gerufen werde. Der Russe und ich, wir sehen uns noch immer nicht an, aber begrüßen uns knapp.
Inzwischen ist mir ein wenig kalt geworden. Das darf eigentlich nicht passieren, dafür wärmt man sich ja auf. Aber mein Körper fährt immer so schnell wieder runter. Als ich vom Ringrichter zurück in meine Ecke geschickt werde, hüpfe ich etwas auf und ab, um mich wieder in Schwung zu bringen. Es hilft nicht. Der Russe schaut mich jetzt an. Der Ringrichter nuschelt sein Sprüchlein und gibt das Zeichen zum Start. Sofort sind wir in der Mitte und schlagen wie abgesprochen unsere Handschuhe zusammen. Ich spüre die leichte Unebenheit unter meinem Fuß, wo die Matte mit Werbung bedruckt ist. Die Bänder meines Tiefschutzes zwacken wie ein Amazonentanga an unartigen Stellen. Mein Rückenmark lässt mich bei jeder Bewegung des Russen zucken. Mein Kinn versteckt sich hinter meinen Schultern. Ab jetzt bin ich eins.

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