Malte Klingenhäger

Etwas Schall für Rauch

„Du rauchst zuviel“, sagt Ben und kaut intensiv auf einem Zahnstocher. Vielleicht hat er heimlich Sehnsucht nach der Zigarette, die ich mir gerade anzünde.
„Mach es mir besser nicht madig“, weise ich ihn mürrisch zurecht und wuchte meine Beine vom Schreibtisch. Ich bin irritiert und auch ein wenig besorgt. Ben hat sich noch nie um meine Gesundheit gekümmert. Betritt das heutige Treffen irgendeinen neuen Pfad?
Zigarette – Photo: Tomasz Sienicki„Ich meine ja nur. Kann sein, dass du nie Probleme haben wirst, kann aber auch sein, dass in deiner Lunge schon der Krebs wuchert“, murmelt er vor sich hin. Für seine Verhältnisse klingt er richtig philosophisch. Er zieht meine Schreibtischlampe heran, um sich in seinem großen Rucksack besser zurechtzufinden und beginnt zu wühlen. Bald legt er 3 Packungen tschechische Kippen vor mir auf den Tisch.
„Etwas, das so wunderschöne Qualmgemälde in der Abendsonne malt, kann nicht schlecht für mich sein“, antworte ich derweil und blase den Rauch in Richtung des Fensters. In einem schmalen Streifen des Sonnenlichts scheint er sich wie ein chinesischer Drache über meinem Schreibtisch zu winden. Die Schachteln werfe hinter mich aufs Sofa. Ich habe gelesen, dass jede Kippe knapp eine halbe Stunde Lebenszeit kostet. Wie viele Drachen stecken wohl in einer Schachtel?
„Lässt du deswegen deine Jalousien immer einen Spalt offen? Hast du nicht diese Lichtallergie?“ will Ben wissen, aber diese Frage ist für mich schon zu persönlich und so schweige ich. So läuft das immer. Er will reden, sucht einen Freund. Ich hingegen bin glücklich damit, jemanden zu haben, der sich bei mir gegen ein paar Schachteln Zigaretten DVDs und Videospiele ausleiht. Also frage ich bloß zurück, was es dieses Mal sein soll.
„Wieder was Lustiges, vielleicht ein Rennspiel und –“ Er zögert. Und? denke ich misstrauisch. „Und ich brauch einen Ratschlag“, sagt er endlich.
Das gefällt mir nicht, denn Ratschläge bedeuten Verantwortung und die möchte ich gegenüber Ben nicht tragen. Es ist so schon schwer genug, die Balance zu halten, denn er ist anhänglich. Seit Jahren arbeitslos, verdient er sich hin und wieder ein bisschen was dazu, indem er Kippen über die nahe Grenze schmuggelt. Er wohnt zwei Apartments über mir und sieht immer ungepflegt aus. Vor drei Jahren hat er mich mittags mal aus dem Bett geklingelt. Da stand er dann verheult vor meiner Tür, weil ihn seine Freundin verlassen hatte. Ich habe ihm einen Kaffee gemacht und gewartet, bis er wieder geht. Was sollte ich ihm auch sagen. Danach musste ich mir meine Kippen eine Woche selbst kaufen, erst dann hat er sich wieder zu mir getraut. Seitdem läuft die Sache mit uns wieder reibungslos und die praktisch kostenlosen Zigaretten vertragen sich außerordentlich gut mit meinem bescheidenen Gehalt. Eine erneute Zwangspause will ich nicht riskieren.
Ben lässt sich von meinem nachdenklichen Gesicht nicht irritieren und schaut mich noch immer auffordernd an. Trotz meiner Bedenken bin ich neugierig darauf zu erfahren, was er ausgeheckt hat, also nicke ich ihm zu.
„Dragan hat mir angeboten, für ihn zu arbeiten. Ab nächste Woche. Weil ich doch so viel Erfahrung an der Grenze habe“, sprudelt es aus ihm heraus.
Das ist es also.
„Für Dragan schmuggelt man aber nicht bloß Zigaretten“, werfe ich ein. Alles in mir will es ihm ausreden, aber alles in mir ist parteiisch weil völlig nikotinverseucht. Mein Kopf will nicht, dass mein langjähriger Deal mit Ben platzt und sich alles verändert.
„Aber es gibt Geld und ich hätte die Chance auf eine größere Wohnung.“ Der Satz kommt einen Augenblick zu schnell, überrascht mich aber auch nicht. Ben denkt simpel, aber liegt er deswegen falsch? Dragan ist hier im Viertel der größte Kriminelle und verlässlichste Wohltäter zugleich. Er hat viele Immobilien, die er günstig an seine Jungs vermietet, aber er hält seinen Zirkel klein und sich selbst aus dem gröbsten Dreck heraus. Aber was weiß ich schon über ihn. Das, was so erzählt wird und darauf gebe ich so viel, wie ich mitbekomme: sehr wenig.
„Ist es das Risiko wert?“, frage ich Ben. Wenn er simpel denkt, will ich simpel antworten, doch aus meinem Mund klingt es wie eine hohle Phrase. Ben scheint meine Abneigung gegen seine Pläne zu spüren.
„Ich bin seit Jahren ohne Arbeit und Geld, was habe ich zu verlieren. Du hast gut reden. Risiken! Du hast ja ’nen Job“, entfährt es ihm, während seine Finger meine DVDs abgleiten. Er hält kurz inne. Ich lasse mir nichts anmerken. Ich bin der Nachtwächter mit der Lichtallergie und Ben denkt wahrscheinlich, dass sich Gesunde nicht mit Kranken vergleichen sollten. Jedenfalls scheint er sich jetzt zu schämen, denn er schaut mich kein einziges Mal mehr an, bis er seine Sachen packt und sich knapp verabschiedet. Ich schweige ebenfalls. Er hat sich ohnehin schon für Dragans Angebot entschieden, nur noch Schiss, es sich einzugestehen. Er suchte nur noch Bestätigung, aber den Gefallen tue ich ihm nicht.

Einige Wochen später scheint unser Deal geplatzt. Ben hat sich seit Ewigkeiten nicht blicken lassen. Einige Tage nach dem Gespräch hat er mir die DVD und das Spiel zusammen mit einigen Kippen in den Briefkasten geworfen. Gesehen habe ich ihn dabei nicht. Ich kaufe mir meine Kippen jetzt selbst, denn Aufhören ist keine Option. Der Qualm in der Abendsonne ist ein zu wichtiges Ritual. Licht und Zigaretten – beides ist schlecht für mich, beides sehr wertvoll. Wenn ich, wie jetzt, von der Arbeit zurück komme, verlassen bereits die ersten Bewohner das Haus. So muss ich mir eine eigene Welt aufbauen, denn die Übrige tickt so völlig anders als ich.
Im Treppenhaus kommen mir plötzlich zwei Möbelpacker entgegen. Sie tragen ein altes rissiges Ledersofa herunter. Ich quetsche mich vorbei und laufe einem aufkeimenden Verdacht folgend hinauf. Tatsächlich ist es Bens Wohnung, die ausgeräumt wird. Hat er es geschafft? Hat er eine neue Wohnung? Wenn er jetzt gut verdient, wird er sich nie wieder etwas von mir leihen müssen.
Ich will ihn fragen, ob unser Arrangement damit hinfällig ist, doch er ist nirgendwo zu sehen. Sein Nachbar, der gerade zur Arbeit aufbricht, eröffnet mir auf dem Weg nach unten die deprimierende Wahrheit. Ben sei schon auf seiner ersten Tour gefasst worden. Da sie ihn schon früher ein paarmal wegen der Zigaretten drangekriegt haben, wären sie dieses Mal nicht zimperlich gewesen. Er müsse wegen Drogenschmuggels in Haft und das Sozialamt hätte seine Wohnung aufgelöst.
An meiner Wohnungstür verabschiede ich mich und bin noch immer so verwirrt, dass ich zunächst mit dem Haustürschlüssel aufzuschließen versuche. Zurück in meinem Apartment fehlt mir dann der Appetit, also überspringe ich das Frühstück und lege mich gleich ins Bett, aber das Einschlafen will mir nicht gelingen. Ich denke immer noch an Ben. Wie immer, wenn meine Welt sich verändert, fühle ich mich etwas haltlos.
Schließlich schnappe ich mir meinen Laptop, führe ein paar anstrengende Telefonate und finde heraus, in welchem Knast er untergekommen ist. Ich will ihm einen Brief schreiben, aber mir fällt nichts ein. Ich weiß nicht, ob er im Gefängnis DVDs schauen oder Videospiele spielen kann, also entschließe ich mich, ihm einfach eine Stange Zigaretten zu schicken. Selbst wenn er sie nicht rauchen will, bekommt er vielleicht etwas dafür, das es ihm wert ist.

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