Dierk Seidel
„Ich habe überhaupt keine Ahnung, wann das anfing mit der ganzen Scheiße“[1] oder warum ich schreibe
Draußen regnet es. Ich bin ohne Regenjacke rausgegangen. Das kommt schon mal vor, wenn ich vergesse, vor dem Hinausgehen aus dem Fenster zu schauen. Wichtiger als eine Regenjacke ist, dass ich meinen Laptop eingepackt habe, denn ich will heute schreiben – einen Slam-Text überarbeiten, eine Mail formulieren und mich an ein Kapitel meines Romanprojekts setzen. Das Exposé für das fertige Kinderbuch schiebe ich immer noch auf.
Mittlerweile sitze ich im SpecOps, meinem Lieblingscafé, und blicke nach draußen. Der Regen hat nachgelassen. Ich habe den Slamtext überarbeitet und komme ins Grübeln, warum ich schreibe. In einem anderen Text fand ich mal folgende Antwort:
Die Gründe sind unterschiedlich, manchmal dient das Schreiben dazu, um die Kreativität voranzutreiben, oder, wenn ich nicht weiterweiß, mir neue Impulse zu setzen. Auch treibt mich zeitweise das Gefühl an, dass ich schreiben muss, weil ich weiß, dass es mir guttun wird, und manchmal denke ich, ich habe etwas zu sagen, weiß aber noch nicht was. Hinzu kommt, dass ich bei vielen Texten auch ein wenig an meinem Handwerk arbeite und Dinge ausprobiere, die ich noch nicht gemacht habe. https://www.kulturkater.de/ueber-das-schreiben/
Ansonsten geht es in diesem Text primär um das Wie des Schreibens. Wäre ja zu schön gewesen, wenn ich über das Warum schon mal ausführlicher geschrieben hätte. Grundsätzlich ist es aber einfach, ich schreibe, weil ich muss. Geht nicht anders. Und ein wenig, weil ich es kann. Und dann macht das Schreiben Spaß und ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen.
Wenn ich mich recht erinnere, fing mein Schreiben mit Songtexten und Gedichten an. Musik bedeutet mir schon immer viel und so war es naheliegend, dass ich es mit Songs versuchte. Die Folge hätte sein können, in einer Band zu sein und Texte beizusteuern. In einer Band war ich, habe gesungen und flog raus, weil ich meine Einsätze verpasste. Die Songs, die ich schrieb, waren in kläglichem Englisch oder einfach nur unglaublich schlecht. Um zwei Titel zu nennen: „Jesus war der erste Kommunist“ und „Pity me“. Dann gab es eine längere Phase, in der ich Gedichte schrieb. Ich verarbeitete aktuelle Themen und hatte Freude daran, mit Wörtern zu spielen. Auch eigneten sich Gedichte bei klammer Geldbörse gut als Geschenke. Für meine damalige Freundin schrieb ich mehrere Kindergeschichten über Nilfi das Nilpferd, Sohn von Nora Nilpferd, und seinen besten Freund Schorsch, den Vogel, der immer auf Nilfis Rücken herumspazierte. Die Geschichten, die ich nur einmalig handschriftlich zu Papier brachte, waren ein Geschenk und leider weiß ich kaum noch, was ich da geschrieben hatte.
Erst später, als ich an meinem ersten Poetry Slam teilgenommen hatte, fokussierte ich mich mehr auf Kurzgeschichten. Das kam einfach so. Bei meinem ersten Poetry Slam hatte ich noch ein Gedicht vorgetragen. Aber danach bekam ich Lust, längere Geschichten zu schreiben. Die Ideen waren da. Und auch Romanideen hatte ich einige. Vielleicht sollte ich mal ein Buch herausbringen mit 100 Romananfängen. 50 habe ich bestimmt schon. Das große Ziel ist aber, neben den ganzen kurzen Texten endlich einen Roman abzuschließen.
Das Lesen war sicherlich auch wichtig für mein Schreiben. Als Kind las ich viele Kinderkrimigeschichten von Enid Blyton. Mein Freund Hannes und ich wollten in der 5. Klasse selbst einen Krimi schreiben. Jeder einen eigenen natürlich. Ich holte die elektrische Schreibmaschine vom Dachboden, legte ein Blatt Papier ein und tippte das erste Kapitel. Es ging um einen Gemäldediebstahl, bei dem Interpol in Südfrankreich ermitteln musste. Zwei Enttäuschungen folgten und meine Krimikarriere endete, bevor sie überhaupt begann. Zum einen hatte Hannes ein ähnliches erstes Kapitel geschrieben – wir hatten uns wohl zu viel ausgetauscht – und zum anderen fand mein Klassenlehrer so viele Fehler in dem Text, dass ich dachte, ich lass den Scheiß lieber sein. Ein Glück habe ich ungefähr drei Jahre später meine Motivation wiedergefunden. Vielleicht lag das an Bands und Autoren, die mich damals beeinflussten: die Texte der Doors und Jim Morrisons, die der Toten Hosen, Hermann Hesse, von dem ich mit 15 nicht alles begriff, und Kafka, von dem man ja eigentlich nie alles begreifen wird. Weitere Autoren, die ich schätze, und die vermutlich manche Impulse auf mein Schreiben gaben, sind Sven Regener, Jonathan Franzen, Paul Auster und Haruki Murakami.
Der Regen ist wieder stärker geworden. Ich habe Gedanken gesammelt und festgehalten, ohne es vorab gewollt zu haben. Ein Impuls reicht manchmal aus, um zu schreiben. Trotz vieler Erinnerungen, so ganz genau weiß ich nicht, wann das alles eigentlich anfing.
„Ich habe überhaupt keine Ahnung, wann das anfing mit der ganzen Scheiße. Das ist das Komische daran. Das ist wie mit dem Untergang des römischen Reiches, da weiß auch keiner so genau, wann das anfing.“[1]
1 Aus dem Film: „Herr Lehmann“