Dierk Seidel
Die Tage sind lang und leer
1.
Das Schiff legt ab und fährt aus dem Hafen der kleinen Insel heraus. Der Bootsmann ruft laut:
„Halt, die Taue sind noch fest.“
Das Schiff fährt weiter und nimmt den halben Hafen mit.
„Wir haben schon alles gehabt. Halbmond, und halben Hahn, aber einen halben Hafen noch nicht“, sagt einer auf dem Festland. Und damit hatte er recht.
2.
„Du willst doch wieder deinen Drachen fliegen lassen“, sagte die Mutter zu ihrem Kind, „das kannst du hier auf der Fähre nicht machen, der fliegt dir davon und du gefährdest das Schiff.“
„Nein, mach ich nicht, habe ich gar nicht vor“, sagte das Kind.
„Du gehst nicht ans Oberdeck!“
„Ich mach nichts, ich will nur gucken.“
„Na, gut, ausnahmsweise.“
Das Kind zog eine Jacke an, schnappte den Drachen und verschwand.
Die Fähre näherte sich dem Festland. Ein Angler angelte und schaute ab und zu in sein Fernglas. Er trank einen Schluck aus seinem Flachmann und sagte: „Drachenboote, nun gibt es die also auch hier.“
Ein Fisch zog an der Angel und der Drache zog die Fähre in den Hafen. Oder so ähnlich.
3.
„Es gibt zwei Inselbahnen. Wenn wir Glück haben, bekommen wir ja die, die schon vor der Bahn fährt, die hier angeschlagen steht.“
„Warum sollte denn schon vorher eine kommen?“
„Eine muss ja die Gäste abholen, die neu auf die Insel kommen. Vielleicht kommt die dann ein bisschen früher als die eigentliche Bahn und nimmt uns dann mit.“
Sie warteten fast eine Stunde. Es kam keine frühere Bahn. Die frühere Bahn war noch früher gefahren.