Malte Klingenhäger

Mut zur Dummheit

Du stehst mit einem Kollegen an einem Tisch in der Bahnhofsbäckerei Wuppertal-Oberbarmen und weil du dem Elend um euch nur so viel Lästerei zugestehst, wie dein heimlicher Elitarismus zum Atmen braucht, gehen euch irgendwann die Gesprächsthemen aus. Die Bahn nimmt darauf keine Rücksicht und wird pünktlich, aber doch erst in gut einer halben Stunde kommen. Also beißt man ins Croissant und surft mit dem Handy, bis der Akku qualmt. Und dann, dann fällt deinem Kollegen auf einmal so ein Satz aus dem Mund wie: „Eigentlich bin ich ja ganz froh, dass es diese Anti-Islam-Demos gibt oder gab.“

01-2015-Malte-Klingenhäger-Mut-zur-DummheitHoppla! Das kam jetzt unerwartet. Du spürst, wie du dich anspannst, aufrichtest und deine Hand die Kaffeetasse zu umklammern beginnt. Dein Kollege bekommt davon nichts mit, der swyped und wischt sich weiter durchs Interweb, während du kurz davor bist, die Tasse in seiner plötzlich so unbeteiligt, hässlichen Fratze zu zertrümmern. Seine Nase willst du deformieren, seine Kopfhaut transformieren und auf dem zusammenfallenden, zuckenden Rest so lange herumtrampeln, bis nur noch eine blutig klebrige Masse am Boden pulsiert, aus der sich hervorragend ein Mahnmal für seine unermessliche Dummheit modellieren ließe und dann – Huch! Dann erschreckst du dich vor dir selbst.

Wo kommt denn dieser Hass so plötzlich her? Reagieren muss man da ja irgendwie, aber … aber wie eigentlich? Du atmest tief durch, beruhigst deinen Körper und verlegst die Raserei in deine Gedanken. Was sollst du tun? Ist dein Kollege Teil des Mobs der Ahnungslosen, die durch die Straßen ziehen und gegen Minarette, Medien, Politik und muslimische Einhörner protestieren? Irre, Spinner, Dummköpfe, keinen Sinn mit denen zu diskutieren, hoffnungslos. Bekämpfen, den Platz nicht überlassen – aber klingt das nicht verdächtig nach der Brachial-Rhetorik des Gegners? Ist da nichts mehr zu retten? Besteht die Möglichkeit, dass dein Zorn im Feuer der Hilflosigkeit glüht? Aber warum hilflos, wenn du die Wahrheit doch auf deiner Seite hast?

Du nimmst es persönlich, das wird es sein. Es ist immerhin ein Kollege, der dich getäuscht haben muss, als du dich mit ihm angefreundet hast. Das macht es jetzt schwerer, ihn abzuschreiben, aus dem Diskurs zu fegen, ihn zu entmenschlichen (auch wenn du dir denkst, dass er aus diesem Pool grade freiwillig geklettert ist). Aber du bist doch nicht im Krieg, oder doch? Nein, er entspricht einer humanen Minimalkonfiguration, alles andere wäre dir aufgefallen. Also reden, doch alles in dir will ihn bloß packen und den Dämon aus ihm herausschütteln. Ihm ins Gesicht schreien: „Hey, deine Meinung ist so dumm wie Rhinozeroshorn gegen Potenzstörung – und das ist schon ziemlich dumm!“ Wird euch bloß nicht weiterbringen, dein Geschrei, soweit vertraust du deiner Menschenkenntnis dann doch noch.

Vielleicht ein Flipchart hervorzaubern und über Zuwanderungsrealitäten dozieren, oder was auch immer dein Kollege in den falschen Hals bekommen hat? Da gibt es ja einiges aber wenig Einigkeit unter dem, gegen das so protestiert wird. Aber könntest du das überhaupt? Dozieren? Du bist nicht grade vorbereitet. Klar, Zeitung gelesen, bei Facebook Zitate geliked, Kommentare abgelassen und in der Schule nicht immer nur geschlafen. Aber Zahlen und Statistiken abrufbereit haben? Zusammenhänge nicht erst herbeireden müssen? Auf Nachfragen flexibel und tiefgründig reagieren können? Bist du bereit, eine philosophische Grundlage für den Wert jedes Menschen zu legen und dem Typ, der mit dir in 25 Minuten in den Zug steigen wird, zum Plausch der Schienenbeatbox darzulegen? Dedemm. Dedemm. Dedemm.

Wenn du ehrlich zu dir bist, würdest du beim ersten Gegenargument in die gleichen Phrasen fallen, die du auf der Gegenseite so verachtest: Es ist doch einfach so – wie naiv kann man eigentlich sein – du hast wohl noch nie – schau dich doch um – das glaube ich nicht – spürt man doch – das sehe ich anders. Dazu ein paar Halbwahrheiten und anekdotisches Wissen, Höcksken, Stöcksken und auf einmal geht es nicht mehr darum zu überzeugen, sondern das Gespräch mit allen Mitteln zu gewinnen, egal wie. Du kannst nur darauf hoffen, dass etwas davon hängen bleibt und wie bei solchen Gesprächen üblich, beginnt die Reflexion erst dann, wenn die Situation hinter einem liegt, aber das hat man nicht mehr in der Hand, das beruhigt einen nicht.

Also erst ein bisschen Verständnis für die Angst dieses Menschen entwickeln, auf ihn eingehen? Du spürst die Unruhe ja selbst. Alle schwimmen im großen, neuen Strom postmoderner Informationsflut, kein Wahrheitsstein mehr unter den Füßen, auf den man sich noch stellen kann. Da nicht nur wild umherzupaddeln, weil du fürs Schwimmen auch mal zu faul bist, es noch gar nicht gelernt hast oder um in Situationen, in denen man keine Zeit zum Nachdenken hat, handlungsfähig zu bleiben, kostet Mühe. Da greifst du auch gerne selbst mal – wenn er dir hingehalten wird – nach einem roten Faden, andere dummerweise nach einem braunen. Du glaubst vielleicht nicht an Verschwörungen, du glaubst an Strömungen und Überforderung. Schon mal eine Dokumentation zu einem Thema gesehen, in dem du dich auskanntest? All diese faktischen Fehler, einseitigen Deutungen, seltsamen Kontexte? Die Hölle. Nur glaubst du nicht an eine Verschwörung dahinter. Du glaubst an Menschen, die Dinge sagen, von denen sie glauben, sie verkaufen sich gut, an Deadlines, die Fehler verursachen, an eine Komplexität, die sich nicht stümperhaft in eine halbe Stunde quetschen lässt – nicht an ein Bewusstsein, dass hinter allem steckt und dich belügen will. Dein Kollege braucht diesen greifbaren Feind, braucht einen Zusammenhang, eine Wahrheit, auch wenn er sie nur vermutet oder wild konstruieren muss. Wer sich bedroht fühlt und nicht einmal weiß, wovon, der wird sich nicht selbst zum Ziel machen wollen. Innerer Burgfrieden und so – das Gegenteil eines aufnahmebereiten Geistes.

Solltest du deinen Kollegen also in den Arm nehmen? Ihn drücken, ihm beruhigend durch die Haare fahren und zuflüstern: Du bist dumm, ich bin dumm, lass uns gemeinsam dumm sein und versuchen, irgendwie durchs Leben zu kommen, ohne irgendwem zu schaden und negative Energien auszusenden? Zum einen stehen für Körperlichkeit zu viele Menschen um euch herum, zum anderen kannst du dich nicht überwinden, gegenüber einer Meinung , die so viel Unheil anrichten kann, vermeintliche Schwäche zu zeigen Richtig, auch du kämpfst und fühlst dich unwohl, denn dein Feind ist ebenfalls schwer fassbar. Der existiert in den Köpfen von Menschen, die ein paar Plakate hochhalten, aufgrund derer du versuchst, ihre Motivation zu vermuten. Viel Glück.

Also bleibt tatsächlich nur, deinen Kollegen aus deinen Kreisen zu verweisen? Gegendemos besuchen, eine zum Gedenken an jeden gefallenen Freund? Oder versuchst du es und redest? Wenn du ehrlich zu dir bist, wärst du heute sogar stolz auf dich, wenn du bloß irgendwie reagierst, denn eigentlich bist du für jede Diskussion nach diesem anstrengenden Tag viel zu faul. Aber gut, versau‘ dir nicht den Blick in den Spiegel heute Abend und sei ein bisschen stolz auf dich, du hilfloser Wicht

„Warum?“, fragst du also.
„Was?“, fragt dein Kollege überrascht und dir geht auf, dass ihr euch seit bereits einer Viertelstunde angeschwiegen habt.
„Warum findest du es gut, dass es jetzt diese Demos gibt?“, ergänzt du.
„Na, das treibt die ganzen rechten Nassbirnen endlich an die Öffentlichkeit und macht es mir einfach, meine Facebook-Freundesliste zu entrümpeln“, erklärt er und sein Blick sinkt wieder aufs Handy.
„Oh“, sagst du. Dann schweigt ihr erneut und es fällt dir schwer, die Stille nicht zu genießen.

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