Torsten Schoeneberg
Der Pastor
Zufällig ist heute sein Geburtstag, sagt der Mann im hellblauen Hemd und lächelt; er lächelt die ganze Zeit. Sein zweiundsechzigster, sagt er, und das bedeute, daß er ab heute Zahlungen aus der Rentenkasse erhält. Also ein Grund zum Feiern, sagt er unbewegt, die Hände gefaltet auf dem Tisch. Er sieht viel jünger aus, er hat unauffällige dunkle Haare und unauffällige helle Haut, seine ganze Erscheinung ist unauffällig, er sieht aus wie ein netter durchschnittlicher Mann kurz nach dem besten Alter.
Als ich ihn gefragt hatte, was er mache, hatte er gelacht und gesagt, na, er sei im Ruhestand. Also genieße er jetzt nur noch die Zeit hier – in diesem Apartmenthaus mit Pool in der Siedlung „Los Flamingos“, deren Außenmauern hinter dem riesigen Supermarkt am mexikanischen Highway liegen, zwischen der Stadt und den Ferienressorts und neben dem Golfclub. Aber um meine Frage zu beantworten: Er war Pastor, sagt er. Er hat in verschiedenen Gemeinden in den Vereinigten Staaten gearbeitet, schließlich auch für eine Weile in Kanada. Aufgewachsen war er in Austin, Texas, vor langer Zeit, sagt er. Austin sei überbewertet; es sei zweifellos eine schöne Stadt mit einer guten Uni – er hätte dort damals ein Studium begonnen – aber die städtische Infrastruktur sei schlecht. Die Stadtplaner hätten damals nicht gewollt, daß die Stadt weiter wachse, und deswegen die Infrastruktur nicht ausgebaut, aber die Menschen seien trotzdem gekommen, und jetzt sei der Verkehr eine Katastrophe.
Ich möchte euch meinen Freund Alberto vorstellen, sagt er, und legt die Hand auf die Schulter des jungen Mexikaners, der mit ihm hergekommen ist und nun still neben ihm sitzt und uns alle von unten anschaut. Später sagt jemand, daß Alberto bereits 30 ist, aber er sieht aus wie 20. Seine Haut ist für einen Mexikaner sehr hell, und jugendlich-fettig sogar mit ein paar Pickeln, seine Haare sind latinoschwarz und seine dunklen Augen gehen unruhig hin und her, wie auch sein schmächtiger Körper sich auf dem Stuhl hin und her windet. Und was machst du?, frage ich. Er gibt privaten Englischunterricht, sagt er. Aber vor allem ist er Designer, sagt der Pastor und lächelt. Modedesigner. Er sei bloß viel zu schüchtern. Zum Beispiel das Kleid der Frau dort am Buffet, das habe Alberto designt. Alberto lächelt sachte. Er spricht so leise, daß man ihn kaum versteht, zudem fehlen ihm doch oft englische Vokabeln, dann schaut er immer zum Pastor, der dann einfach an seiner Stelle weiterspricht; manchmal antwortet er auch direkt auf Fragen an Alberto, ehe der zu sprechen begonnen hat. Nein, auf der Schule habe er nicht Englisch gelernt, sagt Alberto. Wo er herkommt, seien die Leute sehr, sehr arm, und es gebe dort keine guten Schulen. Er würde gerne eines Tages in die USA gehen. Der Pastor sagt, das werde er sicher schaffen, er helfe ihm dabei. Seine Modedesigns seien auf höchstem Niveau. Zum Beispiel das weiße Hemd, das Alberto gerade trägt, das habe er auch selbst entworfen. Sei es nicht großartig? Und er habe bestimmt wieder nicht erwähnt, daß es von ihm selbst sei. Er sei einfach zu schüchtern. Aber daran würden sie noch arbeiten, sagt er und greift Alberto an den Nacken.
Er könne sich auch vorstellen, als Lehrer zu arbeiten, sagt Alberto, immerhin gebe er jetzt schon Unterricht. Er sitzt da mit einem schiefen Lächeln auf seinen brüchigen Lippen. Sein Hemd hat einen besonderen Schnitt; und der Stoff ist sehr fein, man kann beinah durchsehen auf Albertos kaum behaarte Brust.
Er helfe Alberto, sagt der Pastor, das sei zur Zeit sein Projekt, sagt der Pastor, und er lächelt. Später erwähnt er, daß seine Frau und Kinder irgendwo im Norden in den Staaten leben.
Am Nebentisch unterhält der pensionierte französische Pilot mit der sternförmigen Narbe am Hinterkopf die Gesellschaft, indem er über die deutsche Sprache witzelt, die so hart und furchteinflößend klinge und als ob alle sich immer anschrien. Schon wenn man nach Deutschland fahre, wie sei noch das Wort für einen Highway-Exit, fragt er die Schweizerin am Tisch, „Ausfahrt“ sagt sie, „Aus-Farrt!“ ruft er und alle lachen.
Der Pastor hat Alberto zum Buffet geschickt und schaut lächelnd zum Pool, auf das Apartmenthaus, über die Anlage. Er habe etwas Spanisch gelernt, als er in einer Gemeinde im Süden der USA gearbeitet habe, da seien viele Latinos gewesen und da habe er sich gedacht, er müsse doch mal hinunter gehen zu ihnen, ins Lebensmittelgeschäft und so, und sich mit ihnen unterhalten, er müsse ja wissen was sie bewegt. Und so habe er etwas Spanisch gelernt. Als einmal nur er und ich am Tisch sitzen und für eine Weile schweigen, fragt er mich, wie es so in Deutschland sei, heute, nach der Wiedervereinigung.
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