Yasmin Alinaghi

consuma niente

 Insel Praslin, Seychellen, 1997

„Welcome to the Plantation Club.“ Garrett lächelte die Mädchen, die vor der Rezeption standen, gutgelaunt an. Er erkannte sofort, dass es sich um die beiden Rucksacktouristinnen handelte, die in Bernique’s Guesthouse logierten. Praslin ist zwar die zweitgrößte Insel der Seychellen, aber doch so klein, dass jeder Einheimische innerhalb kürzester Zeit über alles unterrichtet war, was auf dem Eiland vor sich ging. Touristen, die mit dem Rucksack reisen, gab es auf dem Archipel selten, um nicht zu sagen nie. Bisher jedenfalls hatten sich, soweit Garrett wusste, noch keine in das Inselparadies verirrt. Selbst die günstigsten Gästehäuser lagen preislich über dem Budget von Rucksacktouristen. Sein Nachbar Joe hatte die Mädchen auf einem Leerflug mitgebracht. Joe arbeitete als Pilot bei InselAir und hatte die beiden beim Trampen auf der Hauptinsel Mahé getroffen. Er wollte ihnen unbedingt seine Heimatinsel zeigen, so kamen die Freundinnen zu einem Gratisflug nach Praslin. Das war vor einer Woche gewesen. Garrett hatte sich schon gefragt, wann sich die Urlauberinnen bei ihm im Club einfinden würden. Laut seiner Informationen hatten sie vorgestern einen Tag in der Indian Ocean Lodge und am Mittwoch im Coco de Mer verbracht. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sie bei ihm auftauchen mussten, denn der Plantation Club zählte zu den besten Resorts der Seychellen.

Yasmin Alinaghi Kurzgeschichte: consuma niente„Wir möchten gern einen Tag an ihrem Pool verbringen.“ Die beiden jungen Frauen lächelten fragend. Die kleinere von beiden trug ein buntes Tuch als Binde über dem rechten Auge. Garrett hatte gehört, dass sie die falsche Kontaktlinsenflüssigkeit benutzt und sich verletzt hatte. Sie war heute Morgen in der Inselklinik behandelt worden. Seine Cousine Anna arbeitete dort als Arzthelferin. Zum Glück konnte sie berichten, dass es sich nur um eine leichte Augenreizung handelte. Sein Lächeln wurde noch breiter:

„Es ist mir eine Ehre. Herzlich willkommen! Handtücher erhalten Sie im Poolbereich. Genießen Sie Ihren Tag.“ Die Mädchen bedankten sich fröhlich und schlenderten durch die Lobby Richtung Pool. Die Strände auf den Seychellen sind paradiesisch; Lage und Architektur der Swimmingpools in den Luxushotels atemberaubend. Die Freundinnen stellten mit Erstaunen fest, dass sie in den Luxusresorts des Inselstaats mit offenen Armen empfangen wurden. Offensichtlich lag es daran, dass die freundlichen Seychellois Rucksackreisende ausgesprochen amüsant fanden. Jedenfalls gewannen sie diesen Eindruck. Und sie konnten das komische Gefühl nicht abschütteln, dass sie jeder Einheimische zu kennen schien.

Nach einem Sundowner am Pool und einem herrlichen Seafood-Abendessen machten sie sich auf den Rückweg zu ihrem Guesthouse. Das Angebot im Plantation Club war erfreulich vielseitig: Außer Fisch und Meeresfrüchten stand sogar Pizza auf der Karte! Ein echtes Highlight, denn bisher hatte ihre Essensauswahl zwischen einem Bananengericht mit oder ohne Fledermausfleisch bestanden. An die Fledermäuse, die sie nach Sonnenuntergang auf dem Heimweg umflatterten, waren sie inzwischen gewöhnt. Es wird früh dunkel auf den Seychellen und derartig finster, dass ihre kleinen Taschenlampen die Schwärze kaum durchdrangen. Bernique’s Guesthouse lag mitten im Wald. Und obwohl ein gepflasterter Weg dorthin führte, stellte es sie vor echte Probleme, auf dem Weg zu bleiben und nicht kopfüber in den Urwald zu stürzen. Sie tasteten sich wie blind voran, bis ihnen zum Glück einige einheimische Jugendliche halfen, unfallfrei nach Hause zu gelangen. Natürlich ohne Lichtquelle und ungläubig lachend, da weder die Orientierungslosigkeit noch die Nachtblindheit der Mädchen für sie nachvollziehbar waren. Die Behauptung, dass es in ihrer industrialisierten Heimat nie völlig finster werde, sorgte für weitere Erheiterung bei der Inseljugend. Die Freundinnen warteten vor dem Plantation Club auf den Inselbus, der regelmäßig, aber ohne festen Fahrplan, im Uhrzeigersinn um die Insel kreiste. Kaum ließen sie sich im Schatten der Bushaltestelle nieder, als ein kleines weißes Auto neben ihnen am Straßenrand bremste und eine Staubwolke aufwirbelte.

„Ciao Ragazze. Ecco. Da seid ihr ja! Ich habe schon nach euch Ausschau gehalten. Soll ich euch nach Hause fahren?“ Die Mädchen schauten verdutzt. Die Worte sprudelten aus dem Mund des quirligen Italieners, den sie vor zwei Tagen mit seiner Familie in der Indian Ocean Lodge kennengelernt hatten. Er urlaubte mit seiner Frau, den drei Kindern sowie der Nonna, der sprichwörtlichen italienischen Großmutter. Als treusorgendes Familienoberhaupt hatte er ein Auto gemietet, um seine Lieben an die Traumstände zu kutschieren. Undenkbar, die Nonna durch die brütende Hitze laufen zu lassen. Außerdem wollte das Essen transportiert werden, ohne das sich „La Famiglia” keine fünf Meter vom Hotel entfernte. Da es nur Kleinwagen auf der Insel zu mieten gab, musste der Familienvater die Großfamilie in zwei Fuhren befördern. Am Strand war ihm nach eigener Aussage sowieso zu langweilig, daher machte ihm die Fahrerei nichts aus. Im Gegenteil. Als sich die Mädchen zu ihm ins Auto zwängten, konstatierte er verschwörerisch: „Gut, dass wir nicht auf La Digue urlauben. Dort gibt es nur drei Autos.” Er hielt seine Hand in die Luft und zählte mit den Fingern einzeln auf: „Einen Leichenwagen, einen Krankenwagen und ein Taxi.” Die Freundinnen machten sich eine gedankliche Notiz, unbedingt dieses autofreie Seychellen-Eiland zu besuchen, während der Italiener erklärte: „Ich habe das Auto für eine Woche gemietet.“ Nach einer theatralischen Pause fügte er hinzu: „Mit einer vollen Tankfüllung!“ Er rollte vielsagend mit den Augen. „Mamma mia, ich habe jetzt schon unzählige Male die Insel umrundet. Ich kenne jeden Winkel, aber …“, er fuchtelte empört mit seinen Händen durch die Luft, „… consuma niente – diese Karre verbraucht einfach nichts.” Die Mädchen schwiegen verständnislos, daher setzte er entschlossen hinzu: „Und glaubt mir, ich gebe das Auto erst zurück, wenn ich den Tank leer gefahren habe.“ Zum Beweis, ließ er den Motor grimmig aufheulen und fragte hoffnungsvoll: „An welchen Strand möchtet ihr morgen fahren?“

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