Dierk Seidel

Zwischen Krieg und Corona und Worten, die man nicht findet

26.02.2022

A: „Gehst du oder warst du heute auf einer Demo?“

B: „Nein, ich wollte, aber ich schaffe es nicht.“

A: „Wie kommt es?“

B: „Klassenarbeiten ohne Ferien. Da muss ich mich an Pläne halten, sonst zieht sich das so in alles andere rein.“

A: „Verstehe, dachte schon, du gingest nicht wegen Corona.“

B: „Ne, war schon öfter wieder auf Kundgebungen, mit Maske und draußen passt das schon. Wir planen gerade aber ne Aktion an der Schule, machen viele. Ist wichtig.“

A: „Ja, da gebe ich dir Recht. Weißt du noch damals, 2003, als der Irakkrieg begann? Wir haben die Schule geschwänzt und sind demonstrieren gegangen. Alle weiterführenden Schulen in der Stadt. Es gab Kundgebungen, aber ich habe keine Ahnung, wer das damals organisiert hat.“

B: „Antikriegsaktion irgendwas.“

A: „Ja, richtig, aber dennoch interessant, dass die Vernetzung damals ohne die sozialen Medien und weitestgehend ohne Smartphones lief.“

B: „Ja, von Mund zu Mund. Als wir später in die Schule kamen und sagten, wo wir waren, war alles okay für unsere Klassenlehrerinnen.“

A: „Gegen den Krieg waren wir, aber Coca Cola haben wir trotzdem getrunken. Wut ist heutzutage viel unkontrollierter geworden.“

B: „Wie meinst du das?“

A: „Ach, kann ich gerade nicht erklären. Aber die Situation ist nicht einfach, viele leben hier und sind durch Verwandte auf beiden Seiten direkt betroffen.“

B: „Krieg ist nie einfach.“

A: „Das ist ganz schön von oben herab und ziemlich weit entfernt.“

B: „Worthülsen, weil die richtigen Worte fehlen.


Ein paar Tage später.

B: „Jeden Abend Brennpunkt schauen, gehört schon fast zum Abendritual.“

A: „Krieg sollte nicht ritualisiert werden.“

B: „Da hast du Recht, Krieg sollte gar nicht sein.“

A: „Damals im Irakkrieg konnte man mit CNN und BBC live dabei sein. Habe ich im Schulaustausch gesehen. Da lief morgens schon der Fernseher. Krieg und Cornflakes. Surreal, schon damals.“

B: „Und heute live mit instagram und tiktok.“

A: „Man muss da aufpassen, was man sieht. Dann lieber Brennpunkt.“

B: „Ja, weiß ich doch. Solange man dann den Brennpunkt schaut …, aber irgendwann schaut man ihn nicht mehr, und dann kommt er irgendwann nicht mehr.“

A: „Man muss tun, was man kann. Sich informieren, spenden, Platz anbieten, andere informieren, Flagge zeigen.“

B: „Kommst du morgen mit auf die Kundgebung?“

A: „Ich weiß noch nicht, ob ich Zeit habe.“