Dierk Seidel

Warum es diese Woche keine Geschichte gibt

Ich könnte ganz einfach sagen, ich hatte keine Zeit.

Oder aber, ich schreibe ganz kurz Folgendes:

Immer wenn mein Opa zusammen mit mir meine Schwester vom Geigenunterricht abholte, saßen wir noch einen Moment in seinem grünen Fiat und warteten, bis er auf seine Uhr blickte und sagte:

„Es wird Zeit.“

Dann stiegen wir aus dem Auto, über einen kleinen Zaun und liefen schräg über die Wiese zum Eingang der Musikschule, anstatt den regulären Weg zu nehmen. Die Wiese war immer sehr mit Moos bedeckt und ich fragte meinen Opa alle möglichen Dinge und er hatte immer eine Antwort parat. Wenn er noch leben würde, wüsste er natürlich die Antwort auf die Frage, warum es diese Woche keine Geschichte gibt.

Trotz vieler Erinnerungen an meinen Opa, die ich noch habe, weiß ich leider nicht mehr genau wie seine Stimme klang. An die meiner Oma kann ich mich noch erinnern. Sie sagte mal zu mir:

„Ach, wenn ich doch noch erleben könnte, wie du und deine Schwester mal heiraten.“

Ich sagte ihr so ungefähr:

„Ach, Oma, heiraten wird doch allgemein überschätzt.“

Ein paar Jahre später hatte sie sich damit zwar abgefunden, sie ging aber einen Schritt weiter:

„Ach, wenn ich doch noch erleben könnte, wie ihr Kinder …“

„Ach, Oma“, sagte ich dann.

In ihren letzten Jahren besuchte sie mich erst in noch in Flensburg und dann in Münster. In Münster saß sie auf meinem Schreibtischstuhl in meiner und deiner ersten gemeinsamen Wohnung, blickte sich um und sagte:

„Hauptsache ist doch, dass es euch gut geht und ihr glücklich seid. Das ist das Wichtigste.“

Und ich wusste, natürlich meinte sie damit auch meine Schwester, aber eben auch uns beide. Und ich war es damals und bin es auch heute mit dir. Und wenn Oma noch leben würde, wüsste sie, warum es diese Woche keine Geschichte gibt. Sie wüsste von unseren Planungen und dem langwierigen Studieren von Corona-Verordnungen und Regelungen und den Frust, den die Planung zeitweise mit sich bringt. Aber sie wüsste eben auch, dass es mir im Grunde gut geht und ich glücklich bin. Mit dir.

In einem Poetry Slam Text, den ich ca. vor sechs Jahren schrieb, kam die Zeile vor:

„Und ich denke: Warum heiraten, wenn man auch so Spaß haben und sich lieben kann.“

Und ich denke heute, weil es sich für uns richtig anfühlt.

Der Text schloss zum Thema mit den Worten: Hochzeit, vielleicht. Als Festival getarnt.“

Nun. Coronabedingt muss das Festival warten.

Für eine Geschichte habe ich diese Woche keine Zeit gehabt – es gab Wichtigeres. Denn ich werde heiraten. Ich werde dich heiraten.

Und wie sagte schon mein Opa?

„Es wird Zeit.“