Dierk Seidel

Schiebung

Die Party im Dorfgemeinschaftshaus war zu Ende und Bert suchte im CD-Stapel seine Doors-CD. Irgendjemand wird sie genommen haben, dachte er. Das nervte ihn. Draußen sammelte sich der klägliche Rest. Sie wollten bei Nadine in der Blockhütte übernachten. Irgendwo aufm Fehn.

„Ich habe Taxis gerufen, das dauert aber noch mindestens ne halbe Stunde, bis die kommen“, sagte Tim.

„Kein Bock auf Warten, ich fahre Rad. Kommst du mit, bei mir hinten drauf?“, sagte Marten zu Bert.

„Ist das nicht voll weit?“

„Ne, immer nur am Kanal lang. Ca. drei Kilometer. Geht schon.“

Sie fuhren langsam, aber recht stabil. Das würde ich nicht mehr hinbekommen, dachte Bert und war froh, dass Marten noch fahren konnte. Er klammerte sich an Marten fest und betrachtete die Welt. Häuser, mehr große als kleine, begleiteten die beiden am Kanal. Plötzlich sah er im Halbdunkel des Mondes die Polizeistation von Irgendwasfehn.

„Marten, guck mal da, wir müssen vorsichtig sein.“

Martin wurde immer langsamer, schaute nach rechts und fuhr in dem Moment gegen ein parkendes Auto. Im Schritttempo. Und wie in Zeitlupe sackte das Rad zusammen und die beiden konnten sich gerade noch fangen.

„Scheiße, Gabel gebrochen. Wir müssen laufen“, sagte Marten.

Und dann liefen sie und trugen das Rad. Immer im Wechsel hundert Meter. Durch die Kabellage konnten sie das Vorderrad nicht lösen. Es war ätzend und sie waren beide genervt.

„Hundert Flaschen Milch im Regal, sind hundert Flaschen Milch im Regal, fällt eine Flasche Milch aus dem Regal, sind es nur noch 99 Flaschen Milch im Regal, 99 Flaschen Milch…“, sang Bert und wollte die Stimmung anheben.

„Ach, hör auf. Kurz Pause, eine rauchen und dann weiter.“

Sie zogen weiter schweigend durch die Nacht. Vorbei an Kirchen, Häusern, einer Großraumdiskothek und noch mehr Häusern, immer am Kanal entlang.

„Vielleicht kommen ja die anderen mit den Taxis an uns vorbei und können uns mitnehmen.“

„Ach, halt‘s Maul, ey, die sind schon längst vorbei.“

Gute Stimmung, dachte Bert, aber er musste gerade auch nicht schleppen.

„Irgendwie war das ne Scheißparty heute. Seltsame Typen da und dann klauen die auch noch meine Doors-CD. Da hab ich lange drauf gespart.“

„Was nimmst du so was überhaupt zur Party mit. Klar, gute Musik, aber für hier aufm Fehn? Haben wir die überhaupt gehört heute?“

Der Morgen dämmerte, als sie bei Nadine ankamen. Sie legten das Rad auf die Terrasse und wollten sich in die Blockhütte zu den anderen legen. Es war kein Platz mehr und es begann zu regnen.

„Was nun?“, fragte Marten.

Bert zeigte auf die große Holzgarage.

„Da rein!“

Auf Gartenstühlen machten sie es sich bequem und schliefen, so gut es ging, bis Bert vom Regen, der auf ihn tropfte, geweckt wurde. Marten war nicht mehr da. Bert ging raus und sah, wie Marten mit Nadines Eltern im Wintergarten frühstückte. Der Tag war gerettet und er setzte sich dazu.

Später holte Tims Vater Bert und ein paar andere ab.

Bevor Bert zuhause ausstieg, sagte Tims Vater:

„Vergiss deine Doors-CD nicht, die hast du gestern Abend beim Hinbringen im Wagen vergessen.“