Malte Klingenhäger

Rast

06-2014-Malte-Klingenhäger-Kurzgeschichte-Rast„Es war der offensichtliche Kampf in ihr, der mich so angezogen hat“, sagt er und lässt sich rückwärts in mein Bett fallen. Die Bierflasche, die ich für ihn aus dem Kühlschrank gefischt hatte, als er so plötzlich vor meiner Tür stand, drückt er neben sich so fest in die Matratze, als ob er mit ihr vor Anker läge – als habe er Angst, fortgetrieben zu werden. Eine ganze Weile liegt er so da, hebt nur ab und an den Kopf, um einen Schluck zu trinken. Dann ankert er wieder. Er klammert sich so fest ans Glas, dass seine Knöchel hervortreten. Ich versuche mich zu erinnern, wie stark so eine Flasche ist und wo mein Verbandskasten steht.
„So eine helle gegen dunkle Seite der Macht Geschichte?“ frage ich schließlich in einem Versuch, halt irgendwas zu sagen. Es ist mir peinlich, dass mir kein klassischeres Beispiel einfällt. Aber er stört sich nicht daran, starrt weiter an die Decke.
„Ja“, sagt er dann.
„Und jetzt hat sie verloren?“ mutmaße ich und zünde mir eine Zigarette an. Selbst Banalitäten wirken schlau, wenn eine Fluppe im Mundwinkel glimmt.
„Wir haben verloren, immerhin war ich ihr Verbündeter“, sagt er, „oder ihr Feind, je nachdem“
„Das klingt ganz schön verworren.“
„Ja.“
„Warum hast du dir niemanden gesucht, der schon entschieden war und in Frieden lebte?“ frage ich, der Logik eines Gespräches folgend, dass ich nur so ganz eben zu erfassen scheine.
„Weil mein nie so genau weiß, wieso die eine Seite gewonnen hat und ob der Friede ewig währt“, antwortet er und rollt sich zur Seite.
„Und was ist am offenen Konflikt so anziehend?“
„Er ist ehrlich und ungemein respektabel, vielleicht auch spannend.“
„Du kannst nicht Seite an Seite mit jemandem kämpfen, der mit sich selbst ringt“, behaupte ich, bin mir aber nicht ganz sicher, was ich meine und ob ich damit recht habe. Er steht mühsam auf, geht zum Kühlschrank und schüttelt den Kopf, als er dort kein Bier mehr findet. Ich werfe ihm meine Kippenschachtel an den Rücken. Sie prallt ab, er hebt sie auf und fängt das Feuerzeug, dass ich kurz darauf hinterherwerfe, mühelos auf. Er steckt sich eine an und wir kreuzen unsere Glimmstengel.
„Niemals aufgeben, niemals kapitulieren“, murmeln wir beide im Einklang. Eine Generation, die keinen gemeinsamen Schulkanon teilt, muss sich ihre Referenzen in der Popkultur suchen.
„Ist auch gar keine Option“, sagt er, als er wieder auf dem Bett sitzt. „Alleine kommt man nicht an alle Ziele. Lieber kämpfen, als irgendwann die Zeit entscheiden zu lassen.“ Ich überlege, ob das auch ein Zitat war, aber so klingt es häufig, wenn er redet.
„Zocken?“ frage ich und bald darauf hocken wir nebeneinander und prügeln uns auf dem Bildschirm. Er wird mit jedem Mal besser. Nach einer halben Stunde habe ich keine Chance mehr und lege den Controller zu Seite. Ich erinnere mich, noch zwei Dosenbier im Schuhregal stehen zu haben. Ich hole sie und entschuldige mich dafür, dass sie nicht kalt sind.
„Im Moment schmeckt alles wie warmes Bier“, winkt er ab und lässt es zischen.
„Und jetzt?“ frage ich.
„Jetzt ziehe ich weiter.“
„So stark wie immer?“ necke ich ihn.
„Bald und dann noch ein wenig stärker“, lacht er und kippt das Bier in einem Zug herunter. Die leere Dose stellt er fast vorsichtig auf meinen Nachttisch, dann steht er auf und greift seine Jacke. ich begleite ihn noch vor die Tür, schaue ihm ein wenig nach und gehe zurück in meine Wohnung, nehme den Controller wieder auf, und beginne an meiner Strategie zu feilen.

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