Dierk Seidel
Onkel Heiner gräbt und Vater Helmut hat ein erstes Mal
Es war der Samstag nach dem Freitag mit Onkel Heiner und wir waren bei Oma Inge zum Pommes- und Bratwurstessen.
Diesmal mit dabei: mein Vater Helmut, Tante Helene und mein Bruder Klugscheißer-Fabian. Und Onkel Heiner? Der hatte mich gestern Abend irgendwie in die passende Bahn gesetzt und gesagt, dass er noch etwas in der Vergangenheit graben müsse. Ich war gespannt, ob er wieder da war.
Wir hatten uns wie immer am Hauptbahnhof getroffen, waren hinausgefahren und liefen nun an den Schrebergärten vorbei zu Omas Straße. Viele waren mit der Gartenarbeit beschäftigt.
Einer blickte hoch und sagte laut genug zu seiner Frau:
„Da kommt die Sippschaft wieder. Ein Glück ist der Heiner nicht dabei. Der macht ja immer Chaos.“
„Wir sind keine Sippschaft, wir sind Familie und Heiner, der ist nen guter Onkel“, sagte ich.
„Ach, sei still, Mädchen, ich könnte dir Geschichten über euren Onkel Heiner erzählen und über euren Vater.“
Dabei zeigte er drohend zu unserem Vater Helmut. Der lachte und sagte:
„Das beruht auf Gegenseitigkeit, du oller Oregano-Kiffer.“
Damit war die Sache vom Tisch. Das Paar drehte abrupt um und ging ins Haus.
„Gar nicht auf den hören. Der alte Stupinski nimmt es Heiner immer noch übel, dass er dem mal Oregano statt Gras verkauft hat. Mehrfach. Bis das rauskam, hatte Heiner sein Gesangsmikrofon finanziert.“
Mein Vater klang stolz, als er so von Heiner erzählte.
Wir bogen in Omas Straße und liefen geradewegs auf ihr Haus zu. Oma saß auf der Bank neben der Tür und schälte Kartoffeln. Als wir näherkamen, stellte sie die Schüssel neben sich, stand auf und umarmte uns alle.
„Kommt rein“, sagte sie.
Wir gingen rein und an jedem Platz war schon ein Teller mit Pommes und Wurst.
„Wurst ist vegan. Schmeckt genauso gut. Also meckert nicht.“
„Niemand hat vor, zu meckern“, sagte mein Vater.
„Ach du, du meckerst doch seit 39 Jahren über alles, vor allem über deinen Bruder.“
„Mutter, das stimmt nicht“, sagte Vater Helmut energisch.
„Denk an deinen Blutdruck, Helmut“, sagte Tante Helene.
„Ja, doch.“
Oma Inge setzte wieder ein.
„Ich dachte damals immer, ihr drei hättet euch gut verstanden. Aber wusste eigentlich einer von euch, dass Heiner schwul ist?“
„Bitte was?“, sagten Tante Helene und Vater Helmut wie aus einem Mund.
„Er hat gestern Nacht angerufen. Gesagt, dass er schwul ist, es schon immer war und sich jetzt um Heiner kümmern müsse. Dann hat er aufgelegt. Na, soll er sich mal um sich selbst kümmern“, sagte Oma Inge.
Ich prustete los.
„Oma, sein Ex Freund heißt auch Heiner.“
„Was, seit wann weißt du das denn?“, fragte Fabian.
„Seit gestern Abend. Die wollten sogar heiraten.“
„Na, hoffentlich klärt er das mit Heiner“, sagte Oma Inge, „also mit dem anderen Heiner, den will ich dann doch mal kennenlernen. Ob der Veganer ist?“
„Mutter, spielt das denn in dieser Situation eine Rolle?“, fragte mein Vater.
„In welcher Situation?“
„Na in der Situation, dass Heiner schwul ist.“
„Was ist denn das für ne Situation? Ist doch nichts dabei“, erwiderte Oma Inge.
„Nein, natürlich nicht. Aber das heißt doch, dass er wirklich kein Taktgefühl hatte und der Band-Rausschmiss ganz anders war, als ich immer dachte.“
„Fängst du schon wieder mit der Band an? Mir reicht’s so langsam mal mit dieser Band.“
„Die Band war mir eben wichtig“, sagte mein Vater.
„Und Linda?“, fragte Klugscheißer-Fabian.
„Ja, die auch.“
Mein Vater, unser Vater Helmut, fing urplötzlich an zu weinen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Vater hatte noch nie geweint. Tante Helene klopfte ihrem Bruder auf die Schulter.
„Schon gut, Helmut, du bist schon okay. Und wenn Heiner seinen Einsatz verpasst hatte, dann sollte das nicht sein. Es kann nicht jeder in einer Band spielen.“
„Das ist ganz schön kompliziert mit euch. Fast so wie gestern mit Heiner“, sagte ich.
„Onkel Heiner“, sagte Klugscheißer-Fabian.
„Nur Heiner“, sagte ich.
„Was habt ihr gemacht?“, fragte mein Vater nun, nachdem er sich etwas gefasst hatte.
„Haben 0,4er Heineken getrunken.“
„Am Büdchen?“
„Ja, Papa.“
Unser Vater Helmut stand auf. Nahm seine Jacke, drehte sich nochmal um und sagte:
„Ich muss mich um Heiner kümmern.“
Und weg war er. Oma Inge stellte Korn auf den Tisch. Wir tranken, aßen Pommes und vegane Bratwurst und waren alle gespannt auf das, was noch kommen sollte.