Torsten Schoeneberg

Schwimmer

Einen hatte ich schon am Busbahnhof in Isfahan (hellster, warmer Mittag) angesprochen, einen Herrn im dunkelblauen Anzug, ob denn hier der Bus nach Teheran halte. Er sah sich mein Ticket an und stellte fest, ja, hier, und wir seien im selben Bus; blickte beim Sprechen leicht an mir vorbei oder über mich hinweg.

06-2015-Torsten-Schöneberg-Kurzgeschichten-SchwimmerDrei Stunden später hielten wir an einem Rastplatz. Zwei Gebäude: Eines, das „…-Palace“ hieß und an der Front zur Straße auch palastartig hohe Fenster hatte, darin Fastfoodläden und Verkauf von Tinnef; dahinter in einem separaten Gebäude Toiletten und Duschen, benutzte, schmutzige, wie schon am Busbahnhof. Als ich meinen Tee mit Safranzucker bei einem darob verlegenen Kellner bezahlt hatte, sah ich, daß mehrere der Herren, nicht bloß Sitznachbarn im Bus, zusammengehörten: an einem Tisch, wo drei oder vier der anderen Pizza und Hot Dogs essend saßen, stand der Anzugmann, und sie alle sprachen miteinander. Draußen schaute ich noch nach fernen Bergen und sah einen hellen, feinen Riß in der Form eines Blitzes in den Wolken, aus dem spätes Tageslicht schien; und an einem der Parkplätze kniete eine Frau hinter einem Auto und weinte in ein Telephon.

Als es schon dunkel war, traute sich im Bus endlich einer, sich hinter mich zu setzen und mich anzusprechen, Kopf und Hände über die Lehne. Er hatte ein ganz rundes Gesicht und trug eine kleine runde Brille, war fast kahl, schlank, ein Jackett hatte er wohl auch an, aber ein kariertes oder graues, und offen, nicht so fein und zugeknöpft wie der Anzugmann – der nicht weit weg saß und im folgenden das Gespräch verfolgte, gelegentlich etwas einwarf und auch einmal lachte; er korrigierte manchmal.

Sie, und zwar fast alle Männer im Bus, waren Schwimmer, ein Schwimmteam, also Hobby-Schwimmer, und sie fuhren jetzt zu einem großen Wettbewerb in Teheran. Ihr jüngster sei 30, ihr ältester (er zeigte weit nach hinten, ich sah nichts) über 80! Die unterschiedlichsten Berufe hatten sie, er selbst war Professor für Geologie; und von nun an übersetzte er zwischen ihnen und mir. Ein anderer mit kargem kantigem Gesicht und schwarzen Haaren stellte viele Fragen, und oft debattierten sie erst einmal miteinander auf Persisch, und machten viele Witze zwischendurch.

Daß ich auf dem Berg Totschal war und den Damavand über die Wolken ragen gesehen habe, sage ich; er erzählt mir von den geologischen Eigenarten der Berge, vom Vulkanismus dort und anderswo im Iran und in Nachbarländern; daß er alle diese Berge mit Teams bestiegen hat, zur Forschung, aber das Klettern mache ihm auch Spaß. Einen Fachbegriff für eine Bergform will er nennen, er weiß es nicht auf Englisch aber ich begreife dann, was er umschreibt: Sie sind brustförmig, wie eine Frauenbrust. Er erklärt, daß die anderen Witze über ihre Frauen machen, aber, sagt er leise, sie tun nur so, in Wahrheit sind sie froh, daß sie sie haben. Über einen machen sie Scherze, weil er alle zwei Stunden Kontrollanrufe seiner Frau annehmen müsse. Aber, sagt er, sie alle seien doch in Wirklichkeit froh, daß sie nicht allein („in loneliness“) wären.

Er will etwas fragen, diskutiert mit den anderen, sie scheinen abzuraten, aber dann fragt er mich doch: Gestern Abend im Fernsehen hätten sie einen Bericht gesehen, wonach es in Deutschland jetzt große Demonstrationen gegen den Islam gebe und es für Muslime sehr gefährlich sei. Stimme das denn? Ich sage, von den Demonstrationen habe ich auch gelesen, und ich schäme mich dafür, aber es sei eine kleine laute Minderheit, Idioten gebe es schließlich überall (alle nicken). Gefährlich sei es für Muslime nicht, sage ich. Ihn faucht einer an, siehst du, er schämt sich, du hättest das nicht sagen sollen, du hast ihn beschämt. Er sagt zu mir, das habe er sich schon gedacht, daß das Fernsehen mal wieder übertreibe. Ich sage, wenn in Deutschland über den Iran berichtet wird, dann zeigen sie auch nur Mullahs. Alle machen große Augen. Wir wissen, daß schlecht über uns berichtet wird, sagt er. Warum haben die Leute Angst vor uns? Ein paar Tage zuvor hat in Australien ein aus dem Iran stammender Terrorist Menschen erschossen. Was hat das mit ihm zu tun, fragt er, mit ihnen? Wir sind doch keine Terroristen!, sagt er, Ich weiß, ich weiß, sage ich, Du hättest das nicht ansprechen sollen, sagt ein anderer zu ihm.

Wo ich denn noch gewesen sei, auch in Schiras? Leider nicht, sage ich, und an Hafis‘ Grab wäre ich gern gewesen. Sie staunen, daß ich Hafis kenne, und gar Omar Khayyam, und ich erzähle, wie vorher und nachher noch manchmal, von Goethes West-östlichem Divan, den keiner kennt – aber Goethe, dem Namen nach, immerhin, und dann erinnert sich der Geologieprofessor, daß an seiner Universität jährlich ein Goethe-Hafis-Kolloquium stattfindet. Er ist jedenfalls erstaunt, wie vorher und nachher mancher, daß Goethe auf Hafis geantwortet hat, versucht es den anderen zu erklären. Und zu mir sagt er: „Aber Hafis war schon der Größere“ und lacht.

Wie ist es in Deutschland, fragt er, wie lebt es sich dort? Wieviel Geld verdient ein Professor dort? Wieviel kostet eine Pizza? Die anderen necken ihn, warum wolle er all das wissen, er gibt lachend zurück, das geht euch nichts an, „none of your business“ sagt er auf Englisch zu ihnen, „I tell them it’s none of their business“ sagt er auf Englisch zu mir. Wieviel Miete zahle ich? Er schreibt sich Zahlen auf einen Notizblock. Ob ich alleine lebe? Er kommt näher und sagt leise: „I live in loneliness“. Seine Frau und er hätten sich getrennt, vor fünf Jahren. Traurig schaut er. Ob ich ihm nicht eine Einladung schreiben könne, nach Deutschland, an die Universität? Dann könnte er ein Visum bekommen.

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