Torsten Schoeneberg

Menschen: Lloyd

Torsten Schoeneberg Kurzgeschichte: LloydLloyd ist der Bruder des Exmanns der Frau des Gastgebers, und seine Frau und er sind noch eng mit der Familie, deswegen sind sie zu diesem Geburtstag eingeladen worden, und Lloyd soll Gitarre spielen, und dafür ist extra eine Gitarre besorgt worden, denn als Sondergepäck im Flugzeug hätte er sie nur ungern mitnehmen wollen. Jetzt sitzt Lloyd da, auf einem Klappstuhl neben dem Buffet, im weißen Hemd und mit der fremden Gitarre auf dem Schoß. Seine dunklen Haare sind zu einem Nachrichtensprecher-Scheitel gekämmt, und durch seine große Brille schaut er abwechselnd auf den Boden und auf seine Finger, die die Saiten abtasten. Nun hat es sich ergeben, daß ein geladener Nachbar des Gastgebers auch eine Gitarre hat, und so sollen die beiden nun erst einmal gemeinsam spielen. Der Nachbar sitzt neben Lloyd und ein wenig weiter vorn, seine Gitarre sieht etwas schneidiger und dunkler aus, und ebenso er selbst, der Sprüche reißt und braungebrannt ist und zwischen seinen Füßen sein Textheft liegen und daneben einen Drink stehen hat. Er trägt ein rotes Hemd, und er ist es, der jetzt spielt und singt und zwischendurch lachend einen neuen Drink fordert, und Lloyd sitzt schräg hinter ihm und macht auf der geliehenen Gitarre den Rhythmus mit, manchmal mit einem Fuß wippend.

Lloyd und ich waren uns zu Beginn der Feier vom Gastgeber vorgestellt worden, die beiden waren gerade in einem Gespräch gewesen, aber Lloyd sprang dann beinahe auf, schaute mit großen Augen durch seine große Brille und drückte mir fest die Hand, es sei ihm eine Freude. Und die Dame dort, sagte der Gastgeber, die gerade vorbeirauschte, das ist Lloyds Frau, und da kam sie schon wieder und schüttelte mir die Hand und erzählte, daß es toll sei hier zu sein und nett mich kennenzulernen und wie der Flug war und daß Lloyd später Gitarre spielen würde und daß da einiges zu organisieren gewesen sei und daß Lloyd leider gerade Kopfschmerzen habe aber daran arbeiteten sie, und Lloyd hatte sich unterdessen mit einer entschuldigenden Geste hingesetzt und hörte wieder dem Gastgeber zu, abwechselnd in dessen Augen und zu Boden schauend. Seine Frau, vielleicht Ende Fünfzig wie er, mit kurzen, gesträhnten Haaren und im beigefarbenen Kleid, entschuldigte sich dann auch, sie müsse noch einiges organisieren, ich könne ja helfen, und wir trugen dann einige Getränke und Stühle hinüber zum Buffet.

Dort sitzt Lloyd jetzt und schaut zu Boden und hört zu, während der Nachbar noch einen Witz erzählt und in seinem Heft nach dem Text des nächsten Folksongs sucht, das würde dann auch das letzte, denn bald sei er zu betrunken, sagt er. Als er fertig ist, nimmt er sein Heft und sein Glas und setzt sich unter die anderen, aber seine dunkle Gitarre läßt er in einem Ständer aufrecht stehen. Und nun sitzt Lloyd allein zwischen dieser und dem Buffet; den Plastikstuhl des Nachbarn hat er zu sich gedreht und sein eigenes Textheft darauf gestellt, und dann fängt er an, Lieder zu singen: ein paar Country- und Western-Standards, und Lieder aus der Generation Elvis, nicht zu schwungvoll, aber auch nicht zu langsam. Eigentlich soll getanzt werden, aber der einzige, der tanzt, ist der Gastgeber, dieser freilich nacheinander mit allen anwesenden Frauen, und mit den jüngeren dann noch einmal. Nur bei zwei oder drei Nummern steht jeweils noch ein Paar auf und tanzt. Auf den Fotos nachher sieht man die Tänzer verschmiert in der Bewegung, Lloyd hingegen scharf umrandet im Hintergrund, im Schatten; mit konzentriertem Blick und auf dem Kopf die gescheitelten Haare, die vorn fast, aber nicht ganz eine Tolle bilden.

Ein Gast wünscht sich etwas von Roy Orbison; Lloyd sagt, das zweite Lied zu Anfang sei schon von Orbison gewesen, er müßte erstmal überlegen, ob er noch eins von ihm könne; der Gast winkt schon ab, es sei nicht schlimm. Drei Lieder später singt Lloyd aber doch Only the Lonely.

Als sein Auftritt vorbei ist und viele schon gegangen sind, stehen wir uns einmal gegenüber. Er leuchtet auf und sagt, ich sei doch aus Australien. Nein, sage ich, Oh, sagt er, dann habe er das falsch verstanden. Deutsche Lieder kenne er keine, das tue ihm leid, aber dieses lustige australische, sagt er – und er schnappt sich einen Plastikstuhl, stellt einen Fuß drauf, legt die Gitarre aufs Knie und fängt an zu singen von einem lausigen Bumerang, der nicht zurückkommt; aber nach ein paar Versen weiß er den Text nicht mehr und entschuldigt sich, er dachte eben wegen Australien, dann wäre es ja lustiger gewesen. Ich frage ihn, ob er Townes van Zandt kennt; nein, kennt er nicht. Ich sage, der hat Pancho and Lefty geschrieben. Oh, sagt er, den Song kenne er, das war doch ein Hit von Willie Nelson und Merle Haggard. Ja, sage ich, aber geschrieben hat ihn Townes van Zandt; der hat einige Songs geschrieben, die dann von anderen berühmt gemacht worden sind. Viele von dessen Texten seien allerdings sehr düster, sage ich, aber vielleicht höre er ja mal rein.

Beim Aufräumen bekomme ich mit, wie der Nachbar ihm von der und der Technik beim Gitarrespielen erzählt, und wie man das auf der und der Beatles-Aufnahme hören könne, und daß die jungen Leute das gar nicht mehr könnten und es mit digitalen Effekten machten. Und Lloyd nickt immer und sagt manchmal „interessant“.

Als wir später noch in kleiner Runde um den Wohnzimmertisch zusammensitzen, erwähnt er seine Kopfschmerzen. Der Gastgeber sagt, er solle Kokosöl auf seine Finger tun und die Schläfen damit einreiben. Als ich vorschlage, das Massieren helfe ohne das Öl wahrscheinlich genauso gut, werde ich böse angesehen; Lloyd hat mich nicht gehört und reibt im Laufe des Gesprächs weiter. Später sagt er, die Schmerzen seien nicht weg, aber ein bißchen besser sei es geworden.

Auf dem Tisch liegt ein bunter Flyer, auf dem sein Gesicht neben denen dreier anderer Männer zu sehen ist, die alle wie Freizeit-Heimwerker aussehen: Das ist sein Quartett daheim, man kann sie mieten. Seine Frau erzählt viel von Konzerten von Country- und Folkgrößen, auf denen sie waren, und mit ihrer Ex-Schwippschwägerin überlegt sie, wann das war, 1985 oder 1995, wer dabei war, Schwager Joe oder Cousin Trevor mit Carrie und so weiter. Die CD da, die ich mir anschaue, die sei von der Band ihres Sohnes, sagt sie, er sei der Bärtige ganz rechts mit dem Kontrabaß. Die machten andere Musik, Blues und R’n’B und so, aber sehr gut.

Nachher blättere ich in dem Buch, das auf dem Couchtisch liegt. Auf dem Cover ein riesiges Portrait, Willie Nelson, faltig, mit weißem Bart und langen weißen Haaren und Cowboyhut, die Ikone der Outlaws, der das Country-Establishment mit Selbstvermarktung und Kampagnen für die Legalisierung von Haschisch und Songs über schwule Cowboys aufgeschreckt hat. Lloyd hilft beim Abwasch. Aus der Küche höre ich, wie er einen Smalltalk anfangen will. „Was haltet ihr eigentlich von diesem Trump?“, und der Gastgeber sagt, die Moslems wegzuhalten sei ganz richtig, und seine Frau sagt, aber der übertreibe doch und habe einiges gesagt, was daneben war, und Lloyds Frau sagt dasselbe mit mehr Worten nochmal, und Lloyd sagt kein Wort.

Als wir uns schließlich verabschieden, sage ich ihm noch einmal, er solle doch mal etwas von Townes van Zandt hören, er leuchtet und sagt, das werde er tun. Er lese gerade die Autobiographie von Willie Nelson, habe sie dabei, sie liege da auf der Couch, sagt er, vielleicht hätte ich sie gesehen.

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