Dierk Seidel

Lila Panini und der Kauzelwutz

Lila Panini wollte eigentlich Opernsänger werden, aber in seiner Familie war der Weg vorbestimmt. Er sollte in die Baubranche. Vielmehr sollte er Betonierer werden. Seine Aufgabe sollte es sein, bösen Typen dabei zu helfen, andere böse Typen, die den ersten bösen Typen böse Sachen angetan hatten, die Füße einzubetonieren, um sie dann im Aasee zu versenken.

Doch bis es so weit war, würde es noch ein wenig dauern, denn Lila Panini war erst zwölf Jahre alt.
Eines Tages saß Lila Panini auf einer Bank unter der Torminbrücke am Aasee und machte Stimmübungen, die ihm seine Tante mütterlicherseits, Gertraud Zielke, gezeigt hatte. Lila Panini übte täglich und voller Elan. Er liebte den Hall unter der Brücke so sehr, dass er alle anderen Geräusche und Menschen ausblenden konnte.

Bis heute.

Plop. Plop. Plop. Plop. Plop.

Lila Panini sang unbeirrt weiter.

Plop. Plop. Plop. Plop.

Jemand warf Steine in den See.

„Was machst du da“, fragte plötzlich dieser jemand, den Lila Panini zu Beginn gar nicht gut sehen konnte. Er, so schien es zumindest, stand ein wenig im Schatten und warf Steine in den See.

„Was machst du da?“, wiederholte er seine Frage.

„Ich übe, denn ich werde irgendwann der weltberühmteste Opernsänger werden und in allen großen Opernhäusern der Welt singen.“

„Opernhäuser. Wo gibt’s die denn?“

„Ach, überall. Münster, Castrop-Rauxel, New York, Sidney und Hamburg. Nur so als Beispiele.“

„Spannend. Das wusste ich gar nicht.“

„Und wer bist du? Ich kann dich ja gar nicht sehen. Komm mal aus dem Schatten raus.“

Es rauschte etwas, aber Lila Panini konnte weiterhin nichts sehen.

„Ich kann dich immer noch nicht sehen. Was bist du? Ein Geist?“

„Ach, kleinen Moment. Manchmal hakt es etwas, da denke ich, ich bin sichtbar, aber ich bin es noch gar nicht.“

Es folgten Geräusche, die klangen wie ein Vibraphon. Lila Panini erkannte den Sound sofort. Er durfte mal während der musikalischen Früherziehung in der Musikschule eines ausprobieren. Ansonsten hatte er keine guten Erinnerungen an die Musikschule. Zum Abschluss studierten sie ein Musical ein und Lila Panini musste eine Biene spielen. Sum, sum, sum und im Kreis fliegen. Totale Unterforderung für einen angehenden Opernstar.

Diese Erinnerungen waren so kurz wie die Soundkulisse und dann sah Lila Panini das Zauberwesen. Ungefähr sein Alter. Schulterlange und zerzauste Haare. Etwas Erde im Gesicht. Eine kurze Hose und Hosenträger. Unter den Hosenträgern ein T-Shirt von der Band „The Clash“. Dass es eine Band ist, konnte Lila Panini aber nur vermuten. Er interessierte sich nur für Klassik. Aber dieses Wesen war ja ganz anders, da konnte man auch schon mal den Horizont erweitern.

„Was macht der denn mit der Gitarre?“

„Ach, ich glaube, der haut die kaputt. Das war so ein Modeding in irgendeiner rockkulturellen Phase der Vergangenheit. Man hat vermutlich damit seine inneren Aggressionen nach außen tragen können, so hat mir das die Frau erzählt, die mir das T-Shirt schenkte, als ich kurzzeitig keines anhatte.“

„Aggressionen nach außen, Gitarre kaputtschlagen. Das verstehe ich nicht. Ist denn nicht die Musik das Ventil? Wenn ich Aggressionen habe, singe ich einfach etwas lauter.“

„Na, das mit dem Ventil ist wie bei ´nem Fahrrad. Irgendwann funktioniert es nicht mehr so gut und dann ist die Luft raus. Und bei Musiker:innen passierte das wohl öfter. Ventil kaputt, Luft raus und Gitarre zerstören. War wohl normal.“

„Musiker:innen? Was meinst du denn damit?“

„Hab ich letztens aufgeschnappt als ich beim Grillen an den Aaseekugeln Menschen belauscht habe. Man spricht damit alle möglichen Geschlechter an. Und da dachte ich, das klingt fair.“

„Ist sicher kompliziert.“

„Ja, ist Übungssache. Zeitweise klappt es gut und manchmal eben nicht. Man muss dranbleiben. Du übst ja auch schon seit Wochen deine Aas und Oos und irgendwann wird es vielleicht doch ganz passabel klingen. Übung macht Meister:innen.“

„Das klingt also nicht gut, was ich singe? Meinst du das ernst?“

„Ja. Aber das ist nur Laiendenke, ich habe keine Ahnung von Musik. Ich bin ja nur einer, der hier am Aasee lebt und abgesehen von Technomusik, die manche Deppen hier laut hören, ist meine Musik nur das Plätschern des Wassers.“

„Mmh. Ja, ich bin ja auch noch jung und eigentlich bräuchte ich mal eine vernünftige Trainer:in. Aber etwas betrübt es mich schon. Wie heißt du eigentlich?“

„Heute heiße ich Kauzelwutz. Aber ich bin nicht auf Namen festgelegt. Eigentlich gebe ich mir jeden Tag einen neuen Namen. Und wie heißt du?“

„Lila Panini ist mein Name.“

„Das ist ein sehr schöner Name. Aber ungewöhnlich, hier heißen ja alle eher anders. Mareike, Martin oder ganz anders. Aber Lila Panini habe ich noch nie gehört. Wie kamst du zu so einem schönen Namen?“

„Meine Eltern sind bei der Münsteraner Mafia und für alle Beteiligten der Mafia gibt es ein Namensbuch mit speziellen Kombinationen, damit die Kinder auch richtig gute Gangsternamen haben. Meine Eltern sagen immer, in diesem Buch haben sie meinen Namen gefunden und dann für gut befunden. Ich darf das Buch aber erst lesen, wenn ich selbst in einem Alter bin, dass ich Kinder bekommen könnte. So ist wohl das ungeschriebene Gesetz.“

„Also ein Boomerbuch?“

„Keine Ahnung. Manchmal redest du zu schlau für mein Alter.“

„Ich bin ja auch schon zigzehn Jahre alt, da kann das mal passieren. Freust du dich darauf ein Gangster zu werden?“

„Ne. So gar nicht. Ich will ja Opernsänger werden.“

„Wir können ja einen Crash-Kurs machen. Vielleicht gefällt es dir dann doch noch. Pass auf. Wir treffen uns für Lektion 1 heute Abend um kurz nach 23 Uhr an den Kugeln.“

„Aber da schlafe ich doch schon längst. Morgen ist Schule.“

„Nur wer wagt, weiß, ob ein Gangster in ihm steckt. Bis später. Und bring eine 30 cm lange Eisenstange mit.“

Dann wurde Kauzelwutz halb unsichtbar. Es hakte wieder. Er zuckte mit den Schultern und war ganz verschwunden. Lila Panini begab sich nachdenklich auf den Heimweg.

Und wenn du wissen möchtest, wie es mit Lila Panini und Kauzelwutz weitergeht, schaue nächste Woche wieder bei Kulturkater.de vorbei.