Dierk Seidel
Lila Panini auf Spurensuche
Als sein Vater nach der Gutenachtgeschichte um kurz nach halb neun das Zimmer verlassen hatte, war Lila Panini ganz aufgeregt. Manchmal dachte er, er sei doch zu alt für sowas. Aber gut war es dann trotzdem. Doch jetzt dachte er an das, was am Abend noch bevorstand und wurde immer nervöser.
Gegen halb elf schlich Lila Panini auf Socken zur Haustür und verdrückte sich langsam nach draußen. Die Tür lehnte er nur an. Bei ihnen brach eh niemand ein. Draußen zog er seine Winterstiefel an, so fiel nicht auf, dass er weg war. Winterstiefel im Hochsommer würde niemand vermissen.
Nur eine Eisenstange konnte er nicht mehr auftreiben, aber es würde sicherlich auch so gehen.
Lila Panini schnallte seinen Helm fest und schwang sich auf sein BMX-Rad. Kurze Zeit später erreichte er die Aaseekugeln.
Stille. Niemand zu sehen. Eine ungewöhnlich stille Nacht war es. Und auch ungewöhnlich dunkel.
„Kauzelwutz, Kauzelwutz, bist du da? Kauzelwutz, ich bin es Lila Panini.“
Da hörte Lila Panini wieder den Sound des Vibraphons. Es funkelte und flackerte, dann stand Kauzelwutz in einem Blaumann vor ihm und gähnte.
„Du solltest nicht so schreien in der Nacht. Erste Gangsterregel. Lass uns loslegen. Siehst du das Fahrrad da?“
Kauzelwutz zeigte auf ein Rad, das mit einem dünnen Kabelschloss an der Einzäunung der Aaseewiesen befestigt war.
„Wie würdest du das Rad klauen?“
„Puh. Keine Ahnung. Eigentlich will ich das Rad ja gar nicht klauen. Der Besitzer oder die Besitzerin ist dann bestimmt sehr unglücklich, wenn es weg ist.“
„Ich merke schon, ein schwieriger Fall. Also gut. Nimm deine Eisenstange.“
„Ja, also das ist so.“
„Ist gut, ich hatte schon damit gerechnet. Es gibt einen Trick. Du siehst den Fahrradständer. Versuche ihn abzubrechen und dann klemmst du ihn in das Schloss und drehst den Ständer und durch die Hebelwirkung oder irgendwas in der Art erzeugst du dann Druck und das Schloss reißt auf. Dann muss es schnell gehen. Aufspringen und wegradeln. Ich mache mich mal unsichtbar.“
„Das gelingt doch niemals. Aber ich versuche es“, grübelte Lila Panini, aber Kauzelwutz war schon verschwunden.
Lila Panini rüttelte am Fahrradständer und er brach erstaunlich schnell ab. Nun ins Schloss klemmen und kurbeln. Alles gar nicht so schwierig, wenn nur das schlechte Gewissen nicht wäre, dachte Lila Panini.
Plötzlich rief jemand von der anderen Straßenseite.
„Halt, was machst du da. Du Dieb. Gleich habe ich dich. Wenn die Ampel auf Grün springt, dann krieg ich dich.“
Lila Panini bekam Panik und kurbelte weiter. Aufgeben kam nicht in Frage. Die Ampelphase schien ewig, doch genau in dem Moment als die Ampel auf Grün sprang, machte es laut „knack“ und das Schloss sprang auf. Lila Panini sprang auf das Rad und radelte los.
Der ordnungstreue Bürger rannte hinterher, brach aber schnell ab und ging seines Weges.
Erleichtert fuhr Lila Panini weiter zur Westerholtschen Wiese. Beim Abbiegen hörte er den Sound des Vibraphons und merkte, wie das Rad unter ihm verschwand. Mit einer gekonnten Hechtrolle rettete er sich auf die Wiese. Das Rad war mittlerweile ganz verschwunden.
Etwas schmerzgeplagt lief Lila Panini zurück zu den Kugeln. Es passierten zurzeit sehr viele ungewöhnliche Dinge, dachte er. Glocken läuteten. Geisterstunde. Er hätte schwören können, dass die ganze Aktion viel kürzer gewesen war.
An den Kugeln sah Lila Panini niemanden, also ging er ans Wasser.
Plop. Plop. Plop.
Lila Panini ging näher ran.
„Kauzelwutz, Kauzelwutz, wo bist du?“
„Hier bin ich.“
Und er wurde sichtbar.
„Übrigens, es ist ein neuer Tag. Heute heiße ich Franziska.“
„Okay, hallo Franziska. Sag doch mal was da gerade los war. Plötzlich verschwand das Rad unter mir. Ich konnte mich so gerade eben retten.“
„Ja, das war so nicht geplant. Gut, dass es dir gut geht. Konnte ja nicht ahnen, dass du so schnell wegdüst. Mein Zauber reicht nicht so weit.“
„Dein Zauber?“
„Ja, klar, ich würde dich doch niemals ein echtes Rad klauen lassen. Das ist doch nur ´ne Simulation. Ich will dich doch nicht in Gefahr bringen.“
„Das ist schon ein wenig verrückt, Franziska.“
„Ja, sonst ist das Leben doch langweilig. Willst du denn nun Gangster werden?“
„Ich glaube nicht. Das war sehr aufregend. Ich weiß nicht, ob ich dafür gemacht bin.“
„Wir können demnächst ja nochmal was anderes ausprobieren. Vielleicht entscheidest du dich dann noch um.“
„Das müssen wir dann nochmal besprechen. Aber stark, dass es ein demnächst gibt. Sind wir dann jetzt Freunde?“
„Ja, Lila Panini. Wir sind jetzt Freunde.“