Dierk Seidel

Leichtsinn im April

Wache morgens auf und schleiche ins Bad. Dusche und würde das Fenster gerne öffnen, habe aber Angst, dass Wespen oder Hornissen oder was auch immer das im letzten Jahr waren, reinkommen. Frage mich, ob ich mir die nur eingebildet habe, damals im Herbst, als die Morgen dunkel und die Insekten vom Licht angezogen wurden.

Dusche kalt. Das weckt auf. Das tut gut und hechte zum Zug. Die Nase läuft, die Augen verquollen. Aber irgendwie egal. Denn die Sonne scheint. Tatsächlich, wenn man allergisch gegen viele Dinge ist, dann muss man auch schon im Frühjahr, also quasi im Winter damit leben. Aber dann ist es scheiße, weil man nie weiß, ob man erkältet oder allergiebedingt gerade völlig neben der Spur ist. Seit Corona kommt auch immer die Frage hinzu, ist das nun Corona oder einfach der Standard? Dann kommt das leidige Jucken der Augen, und parallel die Ratschläge sich wenig ins Gesicht zu fassen. Also noch mehr als sonst die Hände waschen. Augentropfen rein und weiter geht der Tag.

Allergie an warmen Tagen ist allerdings auch scheiße. Aber nicht so richtig, weil man mit einer gewissen Leichtigkeit durch die Gegend hopst. Alle sind gut drauf. Also nicht alle. Aber viele in meinem Umfeld und das gibt mir auch ein gewisses Gefühl von Leichtigkeit.

So ist es meistens. Mal schauen, was dieser April so bringt. Die Leichtigkeit ist ja das, was im letzten Jahr etwas abhandengekommen ist. Ich zucke zusammen, wenn ich Menschen sehe, die nach über einem Jahr der Pandemie immer noch nicht in der Lage sind, die Mund-Nasenbedeckung auch über der Nase zu tragen. Ich zucke zusammen, wenn ich im Fernsehen alte Filme sehe und Menschen, die sich in Kneipen treffen, sich herzlich umarmen, oder in aktuellen Filmen durch Tests und Isolation vor dem Dreh suggeriert wird, dass es Corona nicht gibt. Ich zucke zusammen, wenn Youtuber in jedem Video andere Personen ohne Abstand und Maske treffen, ich zucke und zucke und suche die Leichtigkeit. Vielleicht kommt sie im April, wenn keine Wespen auf dem Trockenboden sind. Oder vielleicht gerade, wenn sie da sind. Dann lächele ich in vertraute Gesichter und sage:

„Hallo.“

Und dann beginnt der Tag.