Malte Klingenhäger

Messerwerfer

Malte-Kurzgeschichte-MesserwerferMeine mörderische Karriere begann mit 16, als ich am ersten Tag meiner Ausbildung einen lebenden Hummer in den Kochtopf warf. Sie endete vor 8 Stunden, als ich wütend ein großes Küchenmesser in Richtung unseres Jungkoches Fabian schleuderte, das ihm den Hals aufschlitzte. Jetzt sitze ich an einem runden Tisch zwei Männern gegenüber, von denen der eine ein Polizist, der andere Psychologe ist. Irgendwo links neben mir in der Ecke hockt auch noch ein Protokollant und drückt stumpfsinnig auf einem Aufnahmegerät im Taschenformat herum. Die Wände des Raumes haben eine angenehme Farbe und wenn mich nicht grade ganz andere Dinge beschäftigen würden, könnte ich durch das große Fenster hinter mir den angrenzenden Park sehen, aus dem Kinderlärm herüberschallt.

Immer wieder geht mir durch den Kopf, was mir mein Anwalt vor einigen Stunden in schrecklich väterlichem Tonfall sagte: Es sei nun nicht die Frage ob, sondern wie schuldig ich sei. War es Mord oder war es Totschlag? Dass ich nur noch über diese Frage nachdenken kann, gebe ich offenherzig zu, als der Psychologe – man glaubt es kaum – tatsächlich danach fragt, wie es mir ginge.

Meine Antwort erstaunt ihn sehr. Ich sehe fast so etwas wie Freude in seinen Augen. Selbst der Polizist hebt kurz eine Augenbraue, bevor er erneut in Dämmerschlaf versinkt. Für ihn gibt es nicht viel zu tun, immerhin habe ich gestanden. Nicht gegenüber der Polizei, sondern in der Küche, während zwei Praktikanten mich in Schockstarre anglotzten und der Küchenchef auf Fabian zustürzte, der auf dem Boden lag, kreischte, zuckte. Da bleibt nicht mehr viel zu sagen. Dachte ich.

Der Psychologe sieht das anders und ich bin mittlerweile geneigt, ihm zuzustimmen. Sein blonder Haarschopf wackelt vergnügt.

“Sie wirken so ruhig und konzentriert. Ich hatte erwartet, dass der Vorfall Sie mehr mitnimmt. Wie erklären Sie sich das?”, will er wissen und Ihnen, lieber Leser, unterstelle ich die gleiche Frage. Ich gebe Ihnen die gleiche Antwort, wie der Zopfliesel vor mir: Ich arbeite in einer verdammten Großküche. Im Moment fühle ich mich, als wäre das Restaurant voll, mein Chef nicht da, der Praktikant krank, die Bedienung konfus, das Fleisch angegammelt und der Ofen kaputt, während mir der Besitzer Obszönitäten an den Kopf wirft. Also kein Grund, nervös zu sein. Neben halbwegs brauchbaren Geschmacksnerven ist Chaosmanagement wahrscheinlich mein herausragenstes Talent.

“Haben sie den Angriff auf Ihren Kollegen geplant?”, fragt er weiter und ich schüttle heftig mit dem Kopf.

“Haben Sie denn schon einmal darüber nachgedacht, ihm etwas anzutun? Gewaltphantasien?”

Das sei ständig der Fall, antworte ich ihm. Wir Köche arbeiten mit großen Messern, zerhacken, stückeln, säbeln Fisch und Fleisch in wahnsinniger Geschwindigkeit. Woher wir diese Energie denn sonst nehmen sollten, frage ich zurück. Er hat anscheinend noch nie eine Großküche im Betrieb erlebt.

Irritiert wechselt er das Thema: “Einer anderen Aussage nach hätten Sie Ihren Kollegen nicht getroffen, wenn der sich nicht im gleichen Augenblick zum Herd gewandt hätte. Das klingt nicht, als hätten Sie überlegt gehandelt.”

Wenn Sie das sagen, denke ich und zupfe am Saum meines T-Shirts.

“Was hat sie überhaupt so aufgeregt?”

Ich erzähle ihm von Fabians langsamer Auffassungsgabe und dass jeder saisonale Menüwechsel im Restaurant eine zweiwöchige Tortur mit sich bringt, bis er wieder die nötige Geschwindigkeit erreicht. Der heutige Tag ist der 11. dieser 14 Tage. Ein Samstag, voller Betrieb, die Küche zwei Tische und 6 Menüs im Rückstand, als ich bemerke, dass er das Steak in der Pfanne vergessen hat. Das war der Grund, denke ich.

“Der Besitzer hat behauptet, Sie hätten eine Beziehung zum Opfer gehabt. Stimmt das?”

Ich habe sowohl mit Fabian als auch dem Chefkoch geschlafen, denn bei meinen Job ist Freizeit rar und die Kollegen nah. Meinen Bedürfnissen ist die fehlende Zeit nämlich herzlich egal. Dem Psychologen sollte es ebenso schnurz sein.

“Kannten Sie Ihren Kollegen gut?”

Ich weise darauf hin, dass wir beim Vögeln nicht viel geredet haben und schaffe es, dabei ernst zu bleiben. Vor allem aber habe ich mit ihm gearbeitet, da lernt man sich kennen. Ich weiß um jede seiner Bewegungen in der Küche, behaupte ich.

Der Psychologe schweigt einige Sekunden lang, in denen sein Nebenmann hoffnungsvoll zu ihm herüberblickt, doch er ist noch unzufrieden. Seine Stirn wirft Falten.

“Mir fehlt heute die Zeit dazu, aber wir werden uns vor der Verhandlung noch einmal in Ruhe unterhalten”, sagt er, und erhebt sich. Der Polizist steht im selben Augenblick fast schon an der Tür. Die Zopfliesel dreht sich noch einmal zu mir um und nickt mir zu. In ihren Augen sehe ich, dass sie genauso gespannt auf das Urteil wartet, wie ich selbst.

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