Dierk Seidel

Immer wieder Samstag

Der Aasee in Münster. Ein Doppelvokal am Anfang, ein Doppelvokal am Ende. Dazwischen ein s. Nicht spektakulär, aber auch nicht so inflationär, dass mir sofort zehn weitere Wörter in dieser Kombination einfallen würden. Aber darum geht es ja auch gar nicht in diesem Text.

Der Himmel ist von Nebel bedeckt, ich laufe. Die Kopfhörer fallen mir ständig aus den Ohren, ich stecke sie immer wieder rein, ich laufe. Am Ende der Promenade sehe ich Licht der ersten Sonnenstrahlen durchschimmern. Ich laufe. Die Giant Poolballs, die drei riesigen Kugeln, drängen sich in mein Blickfeld. Ich laufe. Ich gehe den Weg rechtsherum entlang an den Segelbooten, Jogger kommen mir entgegen, Lokalpolitiker betreiben Frühsport, ich laufe. Es ist Samstagmorgen gegen 7 Uhr. Ich laufe immer weiter. Links von mir bewegt sich ein Trupp Gänse Richtung See, rechts von mir schauen Kaninchen aus ihren Bauten kurz hervor. Ich laufe. Ein Hund kommt mir entgegen, er hat sehr kurze Beine, kurz dahinter läuft sein Herrchen, es hat ebenfalls kurze Beine. Ich laufe. Unter der Torminbrücke bleibe ich kurz stehen, versuche den Reiher zu fotografieren, der wie fast jeden Samstag darauf wartet, vor meinem Foto wegzufliegen. Ich laufe. Folge dem Weg über die Gievenbachbrücke, höre ein paar Tiere vom Zoo, halte mich links und bin wieder in Seenähe. In der Ferne erkenne ich die Aaseebrücke. Mein Ziel. Ich laufe. Ich bin da. Knapp vier Kilometer sind es von zuhause bis zur Aaseebrücke. Jeden Samstag jogge ich dahin, oder ich spaziere dahin oder ich fahre mit dem Fahrrad dahin, um ein Foto zu knipsen. Jeden Samstag. Außer wenn ich nicht kann, dann kann jemand anderes aus meinem Freundeskreis. Wir sind in der 40. Kalenderwoche. Es gibt also in ein paar Tagen das 40. Foto. Immer dasselbe Motiv, doch nie dasselbe Foto.

Angefangen in Coronazeiten für ein paar Wochen, im letzten Jahr wieder ein paar Wochen, ziehe ich es dieses Jahr durch. Samstags zum Aasee. Die Routine, die Bewegung, der Ehrgeiz, das Ziel im Auge, am Ende den Jahresverlauf betrachten zu können. Der Weg um den Aasee ist manchmal Quälerei, manchmal völlig entspannt, aber niemals gleich. An der Brücke, an der zig kleine Schlösser mit eingravierten Herzchen und Namen hängen, orientiere ich mich an zwei Aufklebern, damit ich möglichst einen nahezu gleichen Bildausschnitt erwische. Und doch bin ich immer wieder auf der Suche, das gehört zur Routine dazu.

An Tagen, an denen es regnet, fällt es zeitweise schwer, sich aufzuraffen, doch insgesamt muss ich sagen, dass es im vergangenen Jahr relativ wenige Samstage gab, an denen es regnete. Man sah es dem Aasee an.

Als mich mal jemand fragte, warum ich das mache, jeden Samstag dieses Foto vom Aasee, sagte ich, es sei ein Kunstprojekt, und ich glaube, das stimmt. Nach dem Foto geht es direkt weiter. Zurück in die Stadt. Ich laufe. Ich laufe so lange, bis der Tag beginnt.