Dierk Seidel

Im See – ein Drama im Finsterwald

Erzähler: Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte ist der Bootssteg am Rande des Sees mitten im Finsterwald. Thomas und Ansgar sitzen so da, angeln und lassen die Füße baumeln, als plötzlich (wirft einen Schuh durch die Luft) der linke Schuh von Thomas mit einer so noch nie zuvor gesehenen Geschwindigkeit ins Wasser fällt und verschwindet.

Thomas:     Verrückt! (Guckt auf seine Füße)

Ansgar:      Wasn?

Thomas:     Na, hast du das nicht mitbekommen? Schau mal meine Füße an.

Ansgar:      Warum soll ich denn deine Füße anschauen, ich bin doch kein Fußfetischist, außerdem hast du doch Schuhe und Socken an, da kann ich deine Füße ja gar nicht sehen.

Thomas:     Neeein!

Erzähler:    Und dabei denkt er, dass es zum Teil stimmt, weil er ja noch einen Schuh und sogar beide Socken anhat.

Ansgar:      Wie, nein?

Thomas:     Na, schau doch.

Erzähler:    Und Ansgar beugt sich ganz weit nach vorne, als plötzlich eine ungeheure Kraft an ihm zieht und er ins Wasser fällt und verschwindet.

(Ansgar bleibt in dieser Position, Erzähler wirft eine Decke über ihn.)

Thomas:     Scheiße, scheiße, scheiße, wo ist er hin, was mach ich nun bloß? Ich muss irgendwas machen, Hilfe holen, Menschen holen.

Erzähler:    Thomas rennt so schnell er kann durch den Wald (Thomas rennt auf der Stelle, Ansgar zieht sich mit Stuhl an den Rand zurück), querbeet vorbei an der Blockhütte aus der ein feiner Schnitzelgeruch herausdringt (bleibt stehen, schnüffelt) hin zum Dorfplatz, verschluckt unterwegs einen Käfer, der sich wohl verflogen hatte, (schluckt) springt auf die Bühne, die eigentlich nur für Wanderschauspieler und den Dorfvorsteher angedacht ist (springt auf den Stuhl) und ruft laut.

Thomas:     Ihr Bürger des Waldes, ein schreckliches Ereignis ist soeben geschehen.

Erzähler:    Genau in dem Moment, in dem er schrecklich gesagt hat, fängt Regen an, den ganzen Dorfplatz und Thomas zu überfluten, doch er lässt sich nicht beirren. Und er ruft weiter.

Thomas:     Ihr Bürger des Waldes, ihr müsst mich anhören. Der Weltuntergang naht, und es regnet.

Erzähler:    Die Menschen kommen aus ihren Laubhütten und rufen durcheinander.

 

Alle treten auf, brabbeln durcheinander

 

Mensch 1: Was n passiert?

Mensch 2: Was n, was n?

Mensch 3: Was `nen los, Thomas, was ist los?

Mensch 4: Was `n los, was ist krass?

Mensch 1: Wo brennts denn?

Mensch 3: Hat doch keiner gesagt, dass es brennt. Also was `n los?

Mensch 2: Also krass, aber wo?

Mensch 4: Eher mal wisse, was `n?

Thomas:     Pssst, doch nicht so!

Alle verfallen in einen rhythmischen Sprechchor.

 

Alle:            Was `n los, was geht ab, was so krass, dass du uns rufst, was denn los, was ist krass, wir sind nass, der Regen ist krass, sag uns, was ist los, was ist das?

Erzähler:    Und Thomas erzählt schleunigst alles, weil ihn die Leute verwirren. Und seine Glatze ist schon ganz durcheinander von dem vielen Regen. Die Menschenmeute hört ihm gebannt zu, bis Matilde, eine Frau um die 40 hervortritt.

Matilde:      Wie kannst du es wagen, so einen Tomatensalat zu erzählen, mich zudem so zu demütigen mit so einem Humbug. Jeder weiß, dass Ansgar seit einem Jahr tot ist.

Erzähler:    Jede Person, aber auch wirklich jede Person schüttelt den Kopf, der Regen hört auf und alle gingen nach Haus. Matilde hebt Thomas Schuh auf und trägt ihn wie eine Trophäe davon.