Dierk Seidel
Im Finsterwald
Es ist eine sternenklare Nacht und der Mond scheint so hell, dass dieser Wald den Namen Finsterwald gar nicht verdient hatte. Fensterwald würde schon eher passen, denn zusätzlich zum Mondschein fand Glasermeister August Gehts vor Kurzem den Weg in den Wald und stattete alle Laubhütten mit Fenstern aus. Bis auf zwei Hütten, die auf der kleinen Lichtung hinter den Eichen und kurz vor dem Ameisenhügel, in dem die Königin in ihrem Palast lebt, stehen.
Diese zwei Hütten werden von den zwei besten Freunden, die man sich nur vorstellen kann, bewohnt – von Ansgar und Thomas. Matilde, die einzige Frau im Dorf schmachtet Ansgar schon lange an, doch Thomas, den hält sie für etwas unterbelichtet. Aber davon wollten die beiden nichts hören. „Allerhöchstens sind wir unterbelichtet, weil durch die fehlenden Fenster kein Licht in unsere Hütten kommt, dann sind wir aber beide unterbelichtet“, sagten beide dann immer, wenn es zur Sprache kam.
Thomas und Ansgar sitzen in dieser Nacht auf der Bank vor Ansgars Hütte und zählen Sterne.
Ansgar: „37, also mit dem hinten links.“
Thomas: „Dein links ist linker als mein links, also ungefähr zwei links. Ich nehme den Stern darüber und erhöhe auf 38 ½ .“
Ansgar: „Wieso 38 ½? Das geht doch gar nicht. Wir können keine halben Sterne zählen.“
Und genau in diesem Moment fliegt ein halber Stern vom Himmel, landet direkt vor den beiden, lächelt kurz und verdampft.