Marc Bensch„Wieviel davon bist du“ ist eine dieser Gretchenfragen, bei der Autoren sich üblicherweise winden. Für Marc Bensch, den Gewinner des letztjährigen Autorenwettbewerbs “You want to read in Frankfurt” der Jungen Verlagsmenschen, hat diese Frage jedoch eine weitreichendere Bedeutung. Der Roman, an dem er momentan in Palermo schreibt, ist stark von seiner eigenen Lebensgeschichte geprägt. Kultextur befragt den aufstrebenden Autor zu den Wirkungen, Phänomenen und Verheißungen des autobiographischen Schreibens.

kultextur: Du gehst mit der Geschichte deiner Erkrankung offen um. Ist das eine natürliche Fügung oder eine bewusste Entscheidung gewesen?

Bensch: Ich bin alles andere als eine extrovertierte Persönlichkeit, die es für nötig hält, ihre Umwelt über jede Gefühlsregung in Kenntnis zu setzen. Als bei mir aber ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, kam ich natürlich nicht umhin, die Menschen einzubeziehen, die mir nahestanden – zunächst einmal nur über den Fakt an sich. Aber weil mit dem so viele untrennbare und extreme Empfindungen verbunden sind, blieb es nicht dabei. Der Kreis der Eingeweihten wuchs unkontrolliert. Und als ich merkte, wie mich die Geschichte veränderte, wie viele Lehren ich für mich aus ihr zog, fiel die Entscheidung irgendwann leicht, vollkommen offen mit ihr umzugehen.

kultextur: Planst du, die autobiographische Beziehung zu deinem Text nach einer Publikation ebenfalls offenzulegen? Beispielsweise im Einband?

Bensch: In irgendeiner Weise ganz sicher. Sie ist viel zu gewichtig, um sie zu verschweigen.

kultextur: Glaubst du, die Leser reagieren anders auf den Text, wenn sie dieses Wissen haben? Wenn ja, wie?

Bensch: Davon bin ich überzeugt. Nicht umsonst dekorieren sich so viele Filme mit dem Prädikat, auf einer wahren Begebenheit zu beruhen. Ich glaube, dass das Publikum Inhalte näher an sich heranlässt, wenn es um ihren wahren Kern weiß. Das Leben schreibt nicht immer die schönsten Geschichten, aber ganz sicher solche, die uns berühren, weil wir wissen: Das hat etwas Reales, das könnte mir auch passieren. Und weil darauf nicht selten automatisch die Frage folgt, wie man selbst mit einer solchen Situation umgehen würde.

kultextur: Nimmt man als Autor in einer solchen Situation aus einem solchen Projekt mehr für sich selbst mit, als aus einem vollkommen fiktiven Text?

Bensch: Vielleicht nicht unbedingt mehr, eher etwas anderes. Schreiben ist in meinen Augen grundsätzlich eine Auseinandersetzung mit dem Selbst. In jeder Geschichte steckt ein Teil des Autors. Wo sollen die Empfindungen, die er transportieren möchte, auch anders herkommen als durch Beobachtungen seiner unmittelbaren Umgebung? Aus fiktiven Texten, die beim Schreiben ein Eigenleben entwickeln, kann der Autor einiges über sich selbst lernen, wenn er sie mit etwas Abstand wieder anschaut. Bei Geschichten mit autobiografischem Hintergrund ist es eher eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, ein Versuch des Wiederbewusstwerdens und Hinterfragens alter Gedanken.

kultextur: Stolpert man beim Schreiben über Lücken der eigenen Lebensnarration? Spürt man, wenn man unbewusst einigen Untiefen ausweicht? Klärt es Fragen?

Bensch: Ich schreibe seit 20 Jahren Tagebuch, habe daher ein reichhaltiges Archiv. Das ändert natürlich nichts daran, dass es einem schwerfällt, sich exakt in die Person hineinzuversetzen, die man vor fünf, zehn oder 15 Jahren war. Man bewertet sich immer aus der Perspektive und mit dem Wissen der Gegenwart. Aber darin sehe ich kein Problem, genauso wenig wie ich in Lücken oder Untiefen ein Problem sehen würde. Über sie hinwegzusehen, sie vielleicht sogar bewusst einzusetzen, gehört zur Freiheit des Schreibenden, erst recht wenn er am Ende eben doch einen fiktiven Text verfasst.

kultextur: Kannst du ein Beispiel für Szenen oder Figuren geben, bei denen du absichtlich von deinem Leben abgewichen bist? Bei Freunden oder der Familie vielleicht?

Bensch: Viele der Figuren in meiner Geschichte haben ein reales Vorbild, aber keine ist ein detailgetreues Abbild. Das ist eine Frage der Intimität, ich möchte kein absolutes Seelenstriptease betreiben. Authentizität ist unerlässlich, deswegen sind viele reale Erlebnisse in die Geschichte eingeflossen. Aber auch das Leben des Hauptcharakters ist nicht einmal ansatzweise deckungsgleich mit meinem.

kultextur: Hat eine solche autobiographische Beziehung auch spezielle Vorteile für das Schreiben? 

Bensch: Der größte Vorteil ist die eben angesprochene Authentizität. Wenn ich weiß, dass etwas war, wie es war, muss ich mir nicht die oft schwer zu beantwortende Frage stellen, ob etwas so sein könnte, wie ich es beschreibe.

kultextur: Gibt es Nachteile?

Bensch: Vielleicht am ehesten, eine gewisse Distanz zu wahren. Der Schriftsteller, gerade der unbekannte, sollte aufpassen, dass sein Werk nicht zum Egotrip wird, er sich nicht anmaßt, etwas Weltbewegendes geschaffen zu haben, das dem Leser entweder die Augen öffnet oder ihn als unverbesserlichen Ignoranten entlarvt. Die Gefahr bei persönlichen Werken ist deutlich höher als bei rein fiktiven.

kultextur: Ist das einer der Gründe, warum du ein Pseudonym gewählt hast?

Bensch: Die Entscheidung für ein Pseudonym hatte den einfachen Grund, dass ich mich als Schriftsteller von meiner journalistischen Arbeit abgrenzen wollte. Als solcher sehe ich mich grundsätzlich der größtmöglichen Objektivität verpflichtet – größtmöglich, weil völlige Objektivität nicht existiert. Aufgabe des Schriftstellers dagegen ist es, seine subjektive Wahrheit zu erforschen, sie zurechtzufeilen und leidenschaftlich zu vertreten.

kultextur: Was würdest du einem Autor mit auf den Weg geben, der sich an einem solch persönlichen Werk versuchen möchte?

Bensch: Genau abzuwägen, wo er real bleibt und wo er besser ins Fiktive entflieht. Gerade bei Charakteren, die reale Vorbilder haben, sollte er aufpassen, wie viel er von seinem persönlichen Bild dieser Person preisgeben möchte. Ansonsten vielleicht noch, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und locker mit eigenen Schwächen umzugehen.

kultextur: Wir danken für das Gespräch und wünschen viel Erfolg bei der weiteren Textarbeit!

Das Interview führte Malte Klingenhäger.

Über Marcs aktuelles Romanprojekt: „Das Leben mit Tom“
Manchmal, findet Sam, hilft nur Galgenhumor. Und so nennt er das Operationszimmer, in dem er sich von Tom, seinem Gehirntumor, verabschiedet, den Vorraum zu Himmel oder Hölle. Als die Gewebeprobe zur Überraschung aller ergibt, dass Tom gar kein Tumor war, sind Freunde und Familie erleichtert. Nur Sam gerät ins Grübeln. Er weiß, dass Tom sein Leben verändert hat und es weiter verändern wird. Eine Suche nach dem Wesentlichen beginnt.

Mehr über Marc Bensch findet sich auf seinem Blog.

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