Dierk Seidel

Held der Nacht

„Send war ein Hund, der immer pünktlich ins Bett ging und schnell einschlief. So wie du jetzt …“

„Ach, Papa, das ist doch gemein, einfach eine Geschichte anfangen und nicht beenden.“

„Ja, das ist es, aber du weißt, dass ich nachts arbeiten muss.“

„Ja, erzähl mir von der Arbeit.“

„Na, gut, aber nur kurz, eigentlich kennst du ja alles schon. Also pass auf:

In Städten wie Metropolis und Gotham City gab es viele Superheld*innen. Das war auch unbedingt notwendig, da sich in diesen Städten viele Verbrecher und Verbrecherinnen aufhielten. Nachdem aber diese merkten, dass es gegen Batman, Batgirl, Catwoman und Superman und viele andere keine Chance gab, zogen sie weiter. Sie suchten sich Städte wie Chicago, Neapel, Berlin, Lauenburg und eben auch Bremen-Walle aus.

Eines Tages beziehungsweise eines Abends sah ich, wie ein Mann, der wie eine Feuerwanze verkleidet war, einer alten Dame die Handtasche wegriss und im dunklen Dickicht der Großstadtvorstadt verschwand. Ich nahm sofort die Verfolgung auf und rannte durch Parks, durch Vorgärten, sprang über Hecken, sah Katzen beim Kämpfen und Menschen beim Küssen. Wir wurden von kläffenden Hunden verfolgt und ich war überrascht über die Energie, die der Dieb aufbrachte. Ein kleiner, schneller Käfer. Noch mehr war ich aber über mich selbst überrascht. Ich hatte unglaublich viel Energie und konnte im Dunkeln sehr gut sehen. Meine Superkräfte.

Als es durch ein paar Kleingärten ging, stolperte der Dieb über eine Harke und fiel hin. Ich schnappte die Handtasche, knockte den Dieb mit einer sanften, aber gezielten Backpfeife aus und ging die drei Kilometer zurück. Die alte Dame berichtete gerade der Polizei von dem Diebstahl und ich überreichte die Tasche und erzählte, wo der Dieb lag. Die Polizistin wollte wissen, wie ich heiße, aber ich wollte keinen Trubel. Als sie runter zu ihrem Schreibblock blickte, verschwand ich schnell in der Dunkelheit. Und seitdem bin ich nachts unterwegs und rette Menschen und wenn ich sie nicht retten muss, informiere ich sie über Gefahren in der Welt. So. Und nun, meine kleine Purzelbärin, muss ich los.“

Seine Tochter schlief schon, er küsste ihr auf die Wange, ging hinunter und warf sein Cape über. Draußen regnete es in Strömen, aber das störte ihn nicht weiter. Nachts war er in seinem Element. Er holte sein Rad aus dem Schuppen neben dem Haus, klemmte den Anhänger dran und fuhr zur Autobahnbrücke nicht weit entfernt. Dort lud er die vielen Tageszeitungen, die frisch gedruckt waren, in seinen Anhänger und in die Radtasche auf seinem Gepäckträger und fuhr los. Überall hin, wo er gebraucht wurde. Durch Kleingärten, zu Mehrfamilienhäusern, verfolgt von Hunden und immer begleitet von der Dunkelheit der Nacht, in der er alles genau sah. Hellwach. Seine Superkraft.