Malte Klingenhäger

Hans im Glück

Es ist Montag, der 15. August 2011 und Hans steht im Glück. Besser: in dem weiß getünchten Bau, den König Ludwig II für Glück hielt, auch wenn der Monarch schlussendlich eher Pech hatte, da er kurz vor Vollendung seines kuriosen Schlosses starb. Schließlich blieben ihm bloß 172 Tage, die er in seiner Vorstellung von Vollkommenheit leben konnte und Hans fragt sich, ob es das viele Geld wert war. Wenn mit Macht und Geld auch die Ansprüche steigen, relativiert sich auch die Chance auf Glück, denkt Hans und verletzt damit unbewusst das Copyright eines japanischen Herstellers von Glückskeksen.
Malte-Klingenhäger-Kurzgeschichte-Hans-im-GlueckEine neue Traube Menschen schiebt sich heran und drängt Hans durch die große Tür aus dem Thronsaal nach draußen. Es ist ein hektisches lautes Treiben, ein schweißtriefendes Gaff-Spektakel, das Hans beweist, dass seiner Frau nicht zu trauen ist, wenn sie die Feiertagsplanung übernimmt. Ganz davon abgesehen, dass er sie längst in der Masse der Touristen verloren hat. Eigentlich ist ihm das ja recht. Jetzt, allein im Schlosshof und auf den obersten Treppenstufen, auf die er sich gerettet hat, über den Unmengen an Menschen stehend, gelingt es ihm, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Sein Hemd ist durchgeschwitzt, die Kamera baumelt bislang ungenutzt an seiner Seite und die Hand, in der er den Brustbeutel hält, weil er vor seinem Bauch einfach zu lächerlich aussah, wird langsam müde. Hans kramt sein Handy hervor und schreibt seiner Frau eine kurze Nachricht, bevor er sich entschlossenen Schrittes zurück zum Auto aufmacht.
Auf dem Weg dorthin, der einem Slalom durch ankommende Besucherströme gleicht, sieht er einen kleinen Park, in dem nur einige wenige Familien rasten. Er liegt etwas abseits vom Weg und es ist nicht sofort ersichtlich, wie man ihn erreicht, aber schließlich erblickt Hans einen kleinen, verheißungsvollen Pfad. Er stolpert ihn hinunter und glaubt nicht daran, dass die Oase, die er vor sich sieht, real ist. Er hält auch die freien Bänke erst für eine Fata Morgana, bis er tatsächlich vor ihnen steht und sich ganz vorsichtig setzt – aus Angst, sie könnten sich in letzter Sekunde Luft auflösen. Doch sie sind echt und Hans spürt, wie alle Anspannung von ihm abfällt. Er nimmt sich ein wenig Zeit, bevor er seiner Frau eine weitere Nachricht schreibt und die Wegbeschreibung zu seinem neuen Aufenthaltsort so wage hält, dass zu hoffen ist, sie werde ihn nicht sofort finden. So im Schatten einer alten Buche seine Ruhe genießend, knabbert Hans an einem mitgebrachten Apfel, genießt den Wind, der ihm um die Zehen spielt und freut sich – in den Worten seines Sohnes – darüber, wie geil doch so ein Feiertag sein kann. Die spielenden Kinder auf der Parkwiese sind jetzt Unterhaltung, die Gespräche der Eltern eine leise Hintergrundmusik und die Enten im See gründeln ein Ballett. Nur den Plastikflamingo im See, den kann Hans nicht einordnen, vor allem dann nicht, als er blinzelt und sich als echt entpuppt. Schwäne, die hätte Hans erwartet, aber er muss zugeben – wie ihm ein kurzer Blick zurück zum Schloss versichert – dass Flamingos tatsächlich besser in das Ambiente passen. Er erinnert sich, wie der Tour-Guide berichtet hat, dass die Märchenschlösser, die Disney in seinen Freizeitparks gebaut hat, von diesem hier inspiriert seien. Ein Schloss wie ein Flamingo, irgendwie exzentrisch und aus der Zeit gefallen.
Aus der Entfernung hört er seine Frau rufen. Hans dreht sich um und winkt.
Kannst du doch nicht machen?! Einfach abhauen?! empört sie sich, aber dann setzt sie sich und die Stimmung des kleinen Parks verfängt sich auch in ihr. Hans reicht ihr seine Apfelkitsche, denn Edda hasst es, wenn er seine Äpfel nicht ganz aufisst. Sie nimmt die Kitsche entgegen und guckt sich in Ruhe um. Es erstaunt ihn, dass sie hier entspannt. Eigentlich steht sie eher auf wilde Gärten. Zollstockrasen und kunstvoll geschnittene Hecken sind ihr fast so zuwider wie nicht vollständig verwertetes Obst. Doch irgendwann rückt sie sogar näher an ihn, entfernt mit ihren Fingern noch etwas eingeklemmte Apfelhaut zwischen den Zähnen und legt ihm dann ihren Kopf auf die Schultern. Wow, denkt Hans und macht sich zum ersten Mal seit zwanzig Jahren Ehe Gedanken darüber, ob er wohl streng riecht, wenn er geschwitzt hat. Nach einer Weile ist Edda eingeschlafen – wohl narkotisiert, amüsiert sich Hans.
Der Flamingo stakst derweil umher, putzt hektisch sein Gefieder und vertreibt verdutzte Enten. Zwischendurch nimmt er mit seinem Schnabel Wasser auf. Armer Vogel, denkt Hans. Gefangen in dieser Umgebung und von Natur aus ein Postkartenmotiv, wirkt er viel zu filigran, als all die Aufmerksamkeit verkraften zu können. Hans wünscht ihm Freiheit, ungestutzte Flügel und vielleicht eine etwas dezentere Farbe. Er kann aus seinem Märchenschloss schließlich nicht fliehen, er bewohnt es ja. Wie soll der arme Vogel sein Glück finden, denkt Hans, während Edda im Schlaf vor sich hin murmelt. In seinem rosa Gefieder, mit den unbeholfen wirkenden Schritten, wo bloß noch eine große rote Schleife an seinem Hals fehlen würde, um …
Dann überrascht ihn der Flamingo ein zweites Mal, in dem er seine Flügel ausbreitet und flattert mir schnellen Schlägen davon. Zurück bleiben einige Enten, spielende Kinder, ein deplatziertes Schloss, müde Eltern sowie Edda, die langsam wieder wach wird und Hans, der grade die Farbe rosa zu schätzen lernt.

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