Malte Klingenhäger

Gute Unterhaltung

„Ich will doch nur ein bisschen Spaß haben“, verteidige ich mich, aber Sabrina schnaubt und schüttelt den Kopf. Eine blonde Strähne hängt jetzt in ihrem Gesicht. Den Körper wie immer in ein altmodisches Kostüm gepresst, ein Mausgesicht, eingerahmt von halblangen Haaren. Nicht hübsch genug, um mit ihr schlafen zu wollen, nicht gefährlich genug, um eine ordentliche Nemesis abzugeben. So bleibt ihr an meiner Seite nur der Platz der besten Freundin. Und den Job nimmt sie auf Feiern wie dieser sehr ernst. Sie ist ein fantastisches Wingwoman. Ihre Flügelspannweite hat mir im vergangenen Jahr zwei Damen klargemacht, die eigentlich weit überhalb meiner Liga fliegen. Aber Sabrina hält sich auch für meinen intellektuellen Sparringspartner und – Alter – wie sie in dieser Rolle nervt.
Malte Klingenhäger Kurzgeschichte: Gute Unterhaltung – LimettenSie klopft mir mit dem Kopf ihrer Bierflasche auf die Brust, will meine Aufmerksamkeit. Dazu erkauft sie sich mit dieser etwas übertriebenen Geste ein paar Sekunden Formulierungszeit, die sie dringend benötigt, damit ihr erster Satz nicht schon grammatikalisch scheitert. Es ist nicht ihr erstes Bier.
„Das ist eine Party meiner Freunde. Ich will doch nur, dass du dich ein wenig benimmst“, sagt sie im versöhnlichen Tonfall. Sie lallt noch nicht, das dauert noch ein Stündchen.
„Aber ich benehme mich doch. Ich bringe die Leute zum Lachen und wenn es nicht klappt, such‘ ich mir eben andere. Es sind genug da.“ Ich lasse meine Hand durch den Raum schweifen. Übertriebene Gesten sind schließlich für alle da.
„Ich habe grade mit Jörn gesprochen, das ist übrigens der Gastgeber. Er hat gesagt, du hättest dich daneben benommen,“ tadelt sie.
„Ich weiß, wer das ist. Er hat mir fast die Hand zerquetscht, als ich ihn begrüßt habe. Standen ein paar Mädels drum herum. Dominanzgehabe.“
„Was hast du zu ihm gesagt?“ fragt sie und nimmt einen tiefen Schluck Bier.
„Ich meinte, wenn er mir die Hand kaputtmacht, müsste ich heute Nacht auf seine Freundin zurückgreifen.“
„David …“, beginnt Sabrina zu quengeln. „Was soll der Scheiss?“
„Ich hätte nie gedacht, dass dieser Neandertaler die Punchline begreift“, verteidige ich mich, aber sie will das nicht hören.
„Jetzt hör auf, Scheisse zu labern. Das machst du immer. Kannst du dich nicht einmal ernsthaft unterhalten?“
„Hier? Nein“, antworte ich bestimmt. Sabrina legt ihren Kopf zur Seite, schätzt ab, ob ich das ernst meine. „Soll ich uns Mochitos mixen?“ frage ich, um abzulenken.
„Das wird erst geklärt. Dich lasse ich sowie erst mixen, wenn ich schon betrunken bin.“
„Aber dann schmeckst du doch nichts mehr“, wundere ich mich.
„Eben“, sagt sie. Manchmal überrascht sie mich doch. Weil mein überraschtes nicht mein hübsches Gesicht ist, gehe ich in die Offensive.
„Was willst du von mir?“, frage ich und öffne auffordernd meine Arme. Ich stoße mit meinem Glas einen Typen hinter mir an und muss mich entschuldigen. Übertriebene Gesten sollten vorsichtig genutzt werden.
„Du nimmst nichts ernst. Das ist so arrogant! Es ist ok, auf einer Feier seinen Spaß zu haben, aber manchmal wollen die Leute auch über ernste Themen sprechen.“
Vor allem, wenn sie getrunken haben, denke ich, zucke aber nur mit den Schultern. Schwache Gesten in schwachen Momenten.
„Man redet dann über Musik oder lernt den anderen einfach ein bisschen kennen“, erzählt sie weiter, als ob ich ein Wolfsjunge wäre, der in die Welt der Menschen erst eingeführt werden muss. Aber ich bin doch ein richtiger Junge! denke ich und merke, dass ich mich nicht traue, Sabrina wie alle anderen zu behandeln. Also lege ich ihr meinen freien Arm um die Schulter und ziehe sie leicht zurück, bis wir beide mit dem Rücken an der Flurwand stehen. Nicht im Weg, Blickfreiheit in die drei wichtigsten Zimmer, verschworener Körperkontakt und ich frage mich, was ich noch erklären muss. Aber sie sieht und hört eben eine etwas andere Welt als ich.
„Du meinst, ich könnte mich zur der Gruppe in der Küche stellen, und über Rezepte reden?“ frage ich.
„Zum Beispiel.“
„Oder mich dort im Zimmer zu den beiden Jungs setzen, die über Politik reden?“ Meine Hand zeigt auf zwei adrett gekleidete junge Herren, die Krawatten um die Stirn tragen und ihre schwarzen Anzüge mit quietschbunten Sneakern garniert haben.
„Warum nicht?“ fragt Sabrina zurück, doch sie scheint von der Optik des Politikpärchens abgelenkt zu sein.
„Und die Mädels dort hinten, die mit den langen dunklen Haaren und die Blonde mit dem Haarkranz? Meinst du, dort hätte ich etwas verloren?“
„Die mit den langen Haaren heißt Maria, bisschen konservativ aber echt nett. Natürlich könntest du dich mit ihr unterhalten.“
Ich schaue Sabrina von der Seite an. Eine Sekunde zu lang, um nicht bedeutsam zu wirken.
„Was?“ fragt sie. Ich zeige mit meinem Glas in die Küche.
„Die Jungs dort, die übers Kochen reden. Da stand ich eben. Es war noch ein Mädel dabei. Einer der Jungs sprach das Thema an, keine Ahnung warum, und alle anderen sprangen mit den wildesten Rezepten ein, um klar zu machen, dass sie ebenfalls kochen können. Das Mädel ist gerade weg, das Thema blieb. Du siehst in ihren suchenden Blicken, wie sie nun aus ihrem Gesprächsgefängnis fliehen möchten.“
„Dramatisier es nicht. Sie fühlen sich vielleicht etwas Orientierungslos, aber so ist das nun mal, wenn die Dame fehlt,“ neckt Sabrina. Ich schmunzel und zieh sie etwas näher an mich. „Wer nimmt das Gespräch jetzt nicht ernst?“
„Tut mir leid“, lacht sie.
„Geschenkt.“ Mein Arm wandert weiter, der Finger zeigt auf die beiden Jungs mit den bunten Sneakern. „Die beiden reden seit einer Stunde über den Krieg in Syrien“
„Das ist doch schön? Dass sie diskutieren, meine ich.“
„Tun sie nicht, sie stimmen in fast allen Punkten überein. Sie werfen bloß immer neue Fakten und Analysebrocken in den Ring.“
„Ist es nicht ok, wenn sie sich einig sind? Das kann doch ein gutes Gefühl sein, mit seiner Meinung nicht allein zu stehen.“
„Schon, aber sie sind sich nur einig, weil sie die selben Zeitschriften lesen. Der Linke hat einen leichten Vorsprung, weil er neben Zeit und Spiegel auch die Le Monde liest. Mehr Individualität können sie so nicht erreichen. Eben war noch ein Dritter dabei, der weniger informiert war, aber mit einigen Metafragen punkten wollte. War aber Blödsinn, also ist er – ich lüge nicht – Kippen holen gegangen und nicht wiedergekommen.“
„Du machst es klassisch, oder? Ich bekomme doch noch eine dritte Lektion?“ fragt Sabrina. Ich muss lachen.
„Aber sicher“, sage ich. „Die beiden Mädels, Maria und das, was gekränzelt danebensteht und sich langweilt. Sie sind Freundinnen und ihr Deal ist es, sich voneinander abzugrenzen. Maria, die Konservative, die die Nase rümpft und die Augen verdreht, wenn die andere anzügliche Bemerkungen macht und über Analsex redet, als wäre es ein Verkaufsgespräch.“
„Dann ergänzen sie sich doch?“
„Sie drehen sich nur um sich selbst. Die Show ist für ein paar Minuten amüsant, dann wiederholt sich das Prinzip. Sie sind nicht einfallsreich genug, um spannend zu bleiben.“
Ich nehme meinen Arm wieder von ihrer Schulter, lasse sie frei, um anzuzeigen, dass meine Demonstration abgeschlossen ist. Einer der Politikjungs steht auf und geht an mir vorbei. Er grinst und nickt mir zu. Was auch immer er mir damit sagen will. Vielleicht, dass wir jetzt für die Syrer mitlachen müssen, wo Humor bei denen doch ganz unten auf die Agenda gerutscht ist? Der Flaschenhals von Sabrinas Bier klopft mal wieder gegen meine Brust.
„Wenn du es hier so Schrecklich findest, warum bist du dann hier?“ fragt sie.
„Ich finde es nicht schrecklich, ich amüsiere mich doch. Aber wenn ich mich an diesen Gesprächen so ehrlich beteiligt hätte, wie ich jetzt mit dir rede, dann hätte ich mir keine Freunde gemacht.“
„Wahrscheinlich nicht, aber du klingst wie ein Menschenfeind.“
„Es ist eine Party, da soll eine Unterhaltung vornehmlich unterhalten. Und ich mag Menschen.“
„Wir beide unterhalten uns ernsthaft“, gibt sie zu bedenken.
„Ich unterhalte mich ernsthaft, du hast die Witze gemacht,“ sage ich, Das lässt sie nachdenken.
„Wir haben beide gelacht,“ verteidigt sie sich.
„Ich sage ja nicht, dass ich auf Partys prinzipiell keine ernsthaften Gespräche führe, aber es passiert eben sehr selten. Wenn die Leute sich noch nicht kennen, ist so eine Party eher eine Galerie von schlechten Powerpointpräsentationen, vor allem bei all den Akademikern hier. Nicht so mein Ding. Also beobachte ich und mach meine Scherze, um nicht still in der Ecke zu hocken.“
„Wir können ja den Rest des Abends zusammen beobachten. Dann kann ich auch sicherstellen, dass du keinen Unfug anstellst.“ Sie zwinkert mir zu und kippt den letzten Rest ihres Bieres herunter.
Die leere Flasche gesellt sich zu anderen auf einem Beistelltisch, der aus dem Flur ein weiteres Partyzimmer zaubern soll. Stattdessen ist er eine Ablagefläche für diejenigen geworden, die keine Lust haben, ihre leeren Getränkeflaschen und -gläsern ordentlich wegzuräumen. Ich finde das nicht verwerflich. Man soll ja etwas abschalten können.
Wir gehen in die Küche, wo Sabrina sich eine neue Flasche aus dem Kühlschrank fischt. Grade hält sie mir das Bier hin, damit ich es für sie öffne, als zwei schlaksige junge Männer vom angrenzenden Balkon hereinkommen. Aufgeregt erzählt der kleinere von beiden dem anderen eine Geschichte. Es fallen Superlative wie Blätter im Herbst: Schrecklichstes. Krassestes. Unglaublichstes. Ever.
Ich werde neugierig. Ich gebe Sabrina das ungeöffnete Bier zurück, zeige hinter den beiden her und wende mich zum Schnapsregal.
„Geh‘ schon mal vor. Zeit für Mochitos.“

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