Dierk Seidel

Es gibt Häuser, nicht viele, die höher sind als dieses, und dennoch sind es Geschichten von oben, die so kommen und gehen. Mal kurz, mal lang. Im Dämmerlicht. In der Morgensonne. In tiefster Nacht oder auch ganz zeitlos. Geschichten von oben.

Immer mal wieder freitags

Es ist ein Uhr in der Nacht. Ein Freitag. Die ersten Partygänger hier im Bahnhofsviertel gekonnt ignoriert und eingeschlafen, doch dann wache ich von einem langanhaltenden Hupen auf. Der Rentner in mir pöbelt direkt rum, aber nur kurz, da ich ja nicht auch noch zu denen gehören möchte, die andere aufwecken.

Das Hupen hält an. Meine Neugierde erwacht und ich gehe auf den Balkon. Ein langer Sattelzug mit ca. 18 Meter Länge versucht sich durch unsere enge Straße zu manövrieren. Er hupt. Wieder und wieder. Als würden dadurch die auf der Parkverbotsseite parkenden Autos plötzlich verschwinden. Nachts um eins. Ein Auto dahinter fährt immer einen Meter vor und einen Meter zurück. Als würde das etwas bringen. Mittlerweile haben sich vier Autos angesammelt. Sie hupen jetzt alle mit. Ich winke den anderen Schaulustigen im gegenüberliegenden Haus zu. Sie winken zurück. Es bleibt spannend. Ich frage mich, was dieser LKW überhaupt hier will. Wen beliefert er? In unserer Straße bestimmt keinen. Der LKW- Fahrer oder die Fahrerin, das kann ich von hier oben nicht erkennen, fragt sich das auch und hupt nochmal lautstark. Ich frage mich, ob ich irgendwas von hier oben machen kann, helfen kann, aber mir fällt nichts Sinnvolles ein.

Tatkräftig steigt nach weiteren zehn Minuten – es ist mittlerweile halb zwei Uhr – der Fahrer aus dem dritten wartenden Auto aus. Geht nach vorne, spricht kurz mit dem LKW-Fahrer oder der Fahrerin und dann geht es los. Der eine dirigiert, der oder die andere manövriert. Es ist wie mit einer sehr langen Katze. Ist der Kopf erst mal durch, ist eigentlich auch alles erledigt. Zehn hochkonzentrierte Minuten später braust der Sattelzug davon. Wie er wohl um die enge Kreuzung am Ende der Straße kommt? Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Dirigent steht noch ein wenig am Straßenrand. Ich blicke zu meinen gegenüberliegenden Nachbarn. Wir nicken und fangen an zu klatschen. Der Dirigent verneigt sich und geht zu seinem Auto. Wir klatschen weiter. Die ganze Straße klatscht. Alle klatschen. So laut, dass es der LKW-Fahrer oder die LKW-Fahrerin ganz bestimmt auch hören kann.