Dierk Seidel

Es gibt Häuser, nicht viele, die höher sind als dieses, und dennoch sind es Geschichten von oben, die so kommen und gehen. Mal kurz, mal lang. Im Dämmerlicht. In der Morgensonne. In tiefster Nacht oder auch ganz zeitlos. Geschichten von oben.

Im Parkverbot

Es ist ein x-beliebiger Nachmittag, ich stehe auf dem zur Straße ausgerichteten Balkon und blicke nach unten. Die Straße ist leer. Ein paar parkende Autos stehen auf der Parkverbotsseite. Keine Menschenseele zu sehen. Doch dann schleicht sich ein Mann zwischen 20 und 30, wer weiß das schon immer so genau, in die Straße. Er sieht sportlich aus und trägt eine schwarze Bauchtasche. Natürlich nicht um den Bauch gebunden, sondern lässig über eine Schulter.

Er schaut sich angespannt zu allen Seiten um – nicht nach oben – und nickt jemandem an der Straßenecke zu. Eine andere Person, etwas älter, kommt vorsichtig an, blickt sich auch um. Sie tauschen sich aus und halten keinen Abstand von 1,50 m ein. Aber sicherlich führen sie beide ein Cluster-Tagebuch, um später belegen zu können, wen sie so getroffen haben.

Der Bauchtaschentyp kramt in seiner Bauchtasche und holt ein kleines durchsichtiges Beutelchen heraus, er will es gerade weiterreichen, als zwei Radfahrer durch die Straße fahren und eine weitere Person auf eines der parkenden Autos zusteuert. Blitzschnell wie eine Feldmaus lässt der Bauchtaschentyp das Beutelchen wieder verschwinden. Als Radfahrer und Auto inklusive Fahrer verschwunden sind, blickt der Bauchtaschentyp wieder zu allen Seiten. Nach links, nach rechts, nach vorne. Nicht nach oben. Er überreicht das Beutelchen aus seiner Bauchtasche. Sie geben sich die Hand und es wirkt so, als tauschten sie mit dem Handschlag etwas aus. Aber was weiß ich schon von hier oben aus dem fünften Stock. Ich schweife kurz ab und blicke nach oben. Dort sehe ich eine Flugzeugspur. Wohin es wohl fliegt, frage ich mich. Die Straße unten ist leer. Nur ein paar parkende Autos. Keine Menschenseele zu sehen.