Dierk Seidel

Aus der Reihe: Geschichten von oben
Es gibt Häuser, nicht viele, die höher sind als dieses, und dennoch sind es Geschichten von oben, die so kommen und gehen. Mal kurz, mal lang. Im Dämmerlicht. In der Morgensonne. In tiefster Nacht oder auch ganz zeitlos. Geschichten von oben.

Es muss wohl so sein

Im Urlaub ist es am schlimmsten. Die Zeit, in der man eigentlich meint, ausschlafen zu können. Schlafe in der Regel mit offenem Fenster. Frische Luft soll ja wichtig sein. Doch die Luftzufuhr hat so ihre Tücken. Von mittwochs bis sonntags, also quasi am Wochenende, werde ich am Einschlafen gehindert. Hier schreien Betrunkene, hier gibt ein Depp im getunten Auto Vollgas und heizt durch unsere schmale, aber hohe Straße und es schallt nach oben, hier klirrt Glas, hier diskutieren Männer lautstark, hier bellen Hunde (aber nur sehr selten), hier hupen Autos, weil sie nicht weiterkommen, hier lachen Menschen, hier hören Menschen Musik über ihre Bluetooth Boxen, hier hört man auch manchmal Menschen Klavierspielen, hier in unserer Straße ist was los. Und das ist meist in Ordnung, manchmal nervig, aber meist okay.

Viel schlimmer als die Zeit von mittwochs bis sonntags ist der Montag- und der Freitagmorgen. An diesen Tagen wird der Müll von den Restaurants und Imbissbuden am Bahnhof abgeholt. Die Restaurants und Imbisse müssen immer übermäßig viel Müll produzieren und die Mitarbeitenden scheinen den Müll sehr fest in die großen Müllcontainer zu stopfen, denn montags und freitags zwischen 6:40 und 6:55 Uhr hauen die Müllwerker diese Container immer und immer wieder über die Vorrichtung ihres Wagens in den Schlund des Müllwagens. Klong, Klong, Klong. Was diesen grausamen Lärm genau erzeugt, kann ich nur vermuten. Immer und immer wieder schlägt vermutlich der Deckel wieder auf den Container. Klong, klong, klong.

An normalen Arbeitstagen schleiche ich mich meist vorher aus dem Haus, schließe vor dem Gehen das Fenster und entkomme dem Lärm, manchmal sehe ich die Arbeiter noch. Manchmal möchte ich rumpöbeln, ob sie das nicht etwas sanfter machen können, und dann bremse ich mich zum Glück. Sie machen ja nur ihre Arbeit, denke ich dann. Das Problem ist der Müll, nicht der, der ihn entsorgt.
Und dennoch ist es im Urlaub am schlimmsten. Gehe später ins Bett, will ausschlafen, von der Sonne geweckt werden und dann wache ich pünktlich um 6:40 Uhr vom Bremsen des Müllautos auf. Ich höre, wie die Container zum LKW gerollt werden und erwarte voll Sehnsucht den Schlag der Müllautouhr.

Klong, klong, klong.

Ich stehe genervt auf, schließe das Fenster, natürlich zu spät, ziehe die Decke über den Kopf und suche nach Schlaf, der heute nicht mehr kommt.