Dierk Seidel

Es gibt Häuser, nicht viele, die höher sind als dieses, und dennoch sind es Geschichten von oben, die so kommen und gehen. Mal kurz, mal lang. Im Dämmerlicht. In der Morgensonne. In tiefster Nacht oder auch ganz zeitlos. Geschichten von oben.

Die Toilette auf dem Dach

Mir wurde ein Paket angekündigt. Eigentlich schon vor Wochen, aber heute soll es wirklich kommen. Ich möchte es nicht verpassen, denn bald ist Wochenende und das bedeutet nochmal ein paar Tage warten, bis ich das Paket öffnen kann. Das soll nicht sein. Nun sitze ich im Wohnzimmer meiner Wohnung und höre keine Musik. Und das ist eine wirklich große Anstrengung, keine Musik zu hören, gerade wenn man im Wohnzimmer sitzt, aber die Gefahr das Klingeln des Paketboten nicht zu hören, ist mir eindeutig zu groß, zumal wir vor Kurzem eine neue Klingelanlage ins Haus bekommen haben, die natürlich viel leiser als die alte ist.

Ich sitze also auf dem Sofa und vertreibe mir die Zeit mit einem willkürlichen Handyspiel aus dem Genre „wie viele Abermillionen Variationen von Tetris kann es eigentlich geben“ und horche parallel auf das Klingeln. Allerdings horche ich eben auch nach draußen und zucke anfangs bei jedem durchfahrenden Auto und bei jedem Türenschlagen zusammen und ermahne mich dann kurz, jetzt mal still sitzen zu bleiben, die Paketzustellung wird schon klingeln. Das funktioniert ungefähr 10 Minuten gut. Eine Tür schlägt, ich reiße die Balkontür auf und starre nach unten auf die Straße. Ein Kleinwagen. Ganz große Leistung. Als würde der genau wie ein Pakettransporter klingen.

Drei Stunden später habe ich mich auf dem Balkon eingerichtet. Erst war es nur ein Klappstuhl, dann ein Tisch und Tee, mittlerweile ist das Grillgut fast fertig und die Nudeln für den Nudelsalat köcheln auf meinem kleinen Campinggaskocher vor sich hin. Und bei jedem, aber auch wirklich jedem Fahrzeug in der Straße blicke ich nach unten und muss enttäuscht feststellen, dass es kein Paketlieferant ist.

Während ich mein Grillgut und meinen Nudelsalat genieße blicke ich rechts an unserem Haus vorbei auf die Hotelbaustelle. Ein Flachdachklotz, der sicherlich mal sehr schön aussehen wird. Vor Kurzem gab es sogar eine Weihnachtskarte vom Hotel mit dem schönen Satz: „Wir freuen uns, Sie, nach Fertigstellung des Hotels, jederzeit begrüßen zu dürfen!“ Das ist sicherlich nett gemeint, allerdings frage ich mich, was ich in einem Hotel soll, das uns über vier Jahre mit Baulärm gestört hat und von dem ich 100 Meter entfernt meine Wohnung habe. Aber so weit ist es ja noch gar nicht. Mitten auf dem Flachdachklotz trohnt ein Dixi-Klo. Wie lange haben die Bauerarbeiter und Bauarbeiterinnen wohl gebraucht, um sich zu überwinden, darauf zu gehen und von allen höher gelegenen Häusern beobachtet zu werden? Scheinbar gehen sie aber auch wirklich nur dann drauf, wenn es gar nicht mehr anders geht. In den letzten zwei Stunden kam dies nicht vor und es war keine Menschenseele in der Nähe des Dixi-Klos zu sehen.

Ich schaue auf die Uhr. Spät ist es geworden. Ob mein Paket heute noch kommt? Es wäre schon wichtig, dass ich das Paket vor dem Wochenende bekomme. Ich blicke noch einmal nach unten und räume dann meine Grillausstattung wieder in die Wohnung. Meine Freundin kommt zur Tür rein.

„Du siehst kalt aus, warst du die ganze Zeit auf dem Balkon?“

„Ich, nein, wie kommst du drauf?“

„Sieht man halt, hier Post von heute, zwei Rechnungen, eine Werbung und ein Paket für dich konnte nicht zugestellt werden, du kannst es morgen an der Hauptpost abholen.“