Dierk Seidel

Es gibt Häuser, nicht viele, die höher sind als dieses, und dennoch sind es Geschichten von oben, die so kommen und gehen. Mal kurz, mal lang. Im Dämmerlicht. In der Morgensonne. In tiefster Nacht oder auch ganz zeitlos. Geschichten von oben.

Der Weg nach oben

Wenn Peter kommt, ist er immer außer Atem und sagt so Sachen wie, „ich müsste mal wieder mehr Sport treiben“, oder „puh, das ging auch schon mal besser.“ Ich denke dann manchmal, dann mach doch. Manchmal denke ich dann auch, joa, ich habe heute auch ganz schön geschnauft. Das kommt ja immer auch darauf an, wie der Tag ist. Den Paketboten kommen wir in der Regel zur Hälfte entgegen, oder sie schmeißen gleich einfach eine Abholkarte in den Briefkasten. Manchmal, wenn wir Pizza bestellen, sind die Lieferanten häufig schneller oben, als man etwas sagen kann. Dann kommt der übliche Smalltalk:

„Ist ja ganz schön hoch hier. Muss man mal nen Fahrstuhl einbauen.“

„Ach, man gewöhnt sich daran.“

„Und der Umzug hier hoch? Sicherlich anstrengend.“

„Ja, einfach war das nicht, aber wir hatten eine Kette, damit ging das recht gut.“

„Ah, ja, Kette. Mit Hydraulik und Strom und dann hier in der Lücke mit Seilzug hochgezogen?“

„Mmmh, nee. Mit 12 Freund:innen alle auf verschiedene Ebenen verteilt, jede:r immer nur ein Stückchen. Eine Menschenkette war das.“

„Ach so, okay, hier ihre Pizzen.“

„Danke, hier noch ein kleines Trinkgeld.“

Er nickt und verschwindet schneller, als er gekommen war.

Inklusiv ist so ein hohes Wohnen ohne Aufzug allerdings nicht. Für die alte Dame, die unter uns wohnte, gab es immerhin auf mehreren Etagen Stühle zum Ausruhen. Aber als das Laufen dann immer weniger gut ging, zog sie in eine Wohnung mit Aufzug. Nun sind die Stühle weg und über einen Aufzug reden die Hausbesitzer:innen auch nicht mehr. Wenn man keine körperliche Einschränkung hat, dann sagt man sich, ist ja kein Problem, hier hochzulaufen, hält ja fit. Und wenn man dann Aufzug fahren würde, wenn er da wäre, gilt man vermutlich direkt als faul, aber Menschen mit einer Behinderung zum Beispiel mit einem E-Rolli kommen hier gar nicht hoch. Eine Freundin, die auch weit oben wohnt, erzählte mal, wie sie einen Rollifahrer hochgetragen haben. Da ging das gut, aber getragen werden möchte verständlicherweise auch nicht jede Person. So verlässt man dann den Turm und trifft sich außerhalb der vier Wände (Anmerkung: „Vier Wände“ – gutes Lied von Rio Reiser).

Generell ist es ja so, dass viele Besucher:innen, die hier hoch kommen, häufig länger verweilen. Wer erstmal oben ist, will nicht wieder weg. Da gibt es erst Tee und Kuchen und schöne Musik und irgendwann fängt man an, gemeinsam zu kochen und dann kommt noch ein schöner Film und letztlich der Blick auf die Uhr. Nun aber schnell zum Bus, bevor man noch ganz nach Hause laufen muss. Der Weg nach unten ist schon lang genug.