Dierk Seidel

Festival der Demokratie

Anfang Oktober wurde das Festival der Demokratie in Münster veranstaltet. Zwei Wochenenden und die Tage dazwischen. Zeit für Theater, Konzerte, Diskussionsrunden, Ausstellungen, Installationen und Essen von Elbēn. Lange Zeit grübelte ich, wann und was ich mir anschauen wollte. Und ich grübelte auch, ob ich das so schon wieder kann. Viele Menschen. Drinnen. Zwar 3G, aber dennoch ungewohnt. Ich taste mich da langsam wieder ran, aber dafür war das Festival vielleicht ein guter Ort. Kultur und Menschen gehören einfach zusammen. Ich ließ mich darauf ein. Schon in einem der Eröffnungsstücke glänzten meine Augen ein wenig mehr, als Christian Bo Salle „Der Traum ist aus“ von Ton Steine Scherben performte. Dieses Lied, vielleicht eines der besten Lieder von Rio Reiser und seiner Band, so intensiv und stark performt zu sehen, in einer Zeit, in der Livekultur leider gerade nicht ganz so selbstverständlich ist, machte mir Gänsehaut. Aber auch die anderen Künstler:innen waren stark und hinterließen Eindruck.

Abends gab es eine Gesprächsrunde mit Moderator Adam Riese sowie dem Gast Udo Lielischkies, einstiger Leiter des ARD-Fernsehstudios Moskau. Es gab interessante neue Einblicke ins Russland unter Putin. Musikalisch begleitet wurde die Runde, sowie auch schon das Eröffnungsstück, von Musiker Jakob Reinhardt. Meist, aber nicht ausschließlich, am Klavier. Das Trio Conjak schloss mit Songs des 21. Jahrhundert meinen ersten Festivalabend.

Ich werde nun auch nicht auf jeden Programmpunkt eingehen, es sei nur gesagt, dass ich am folgenden Wochenende wesentlich mehr sah. Vielleicht lag das auch an einem kleinen Vormittagsschläfchen, der mir die nötige Energie für das vorstehende Programm gab. Abends auf der Bühne erzählte Kabarettist Henning Venske aus seinem Leben und im Foyer diskutierte ich über Obst, das so gar nicht geht, und Obst, das so halbwegs okay ist. Aber seien wir mal ehrlich, außer Vitaminen hat Obst nicht so viel im Angebot.

Um 23:15 erwartete ich eine Performance von zwei Künstlern, die letztlich eine Art gelesener Dialog von einem Künstler war. Es ging um Demokratie und Kunst und dieses Festival und was es demokratischer machen würde und was Kunst machen sollte, um demokratischer zu sein. Während der Performance war die Tür zum Saal offen, es schien so gewollt, es blickten ab und an mal Menschen rein, es drängte Lärm rein, mir fehlte die Konzentration. Meine Blicke gingen vom Künstler zur Tür und zur Decke, ich schloss meine Augen, meine Gedanken waren überall und nirgends. Ich fragte mich, ob es den Künstler auf der Bühne nicht stört, die Geräusche von außen, mich würde es beim Vortragen ablenken. „Guck mal, da ist ein Vogel“, und ich schaue ihm hinterher, frage mich, wo er hinfliegt, obwohl er nur in Gedanken existiert. Und diese Gedanken sind immerzu im Sprung.

Im Anschluss wurde zum Grundgesetz gejammt. Und ich fragte mich kurzzeitig, ob ich mit einstimme und ließ es dann beim Konsum. Das trockene Gesetz in Szene gesetzt – mit Musik, Stimme, Tanz und Bildern an der Wand.
Am nächsten Tag berichtete Willy, was nach der Serie „Biene Maja“ mit ihm geschah und das Tribunal der Kinder klagte Verbrecher*innen des 20. Und 21. Jahrhundert an und verurteilte diese. Das Sandmännchen bekam aber einen Freispruch.

Beeindruckend war aber auch die Inszenierung „Big Picture“. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, so sagt man, aber gerade die Worte, die zu den Bildern, erzählt wurden, machten viele Einzelteile zu einem großen Ganzen. Big Picture eben. Es ging um Empathie und Zivilcourage. Der Inhalt erinnerte mich zeitweise an das Buch „Im Grunde gut“ von Rutger Bregmann. Zu Bildern gab es Geschichten, unterschiedlichst performt. Immer gut, beeindruckend und nachhaltig.

Abends gab es noch eine Zeremonie mit Schnabelpestmasken. Gut, dass man die nicht zur Coronabekämpfung trägt. Wobei, wenn der Schnabel 75cm lang wäre und jeder so einen hätte, hätte es mit dem Abstandhalten sicher immer gut funktioniert. Das Stück „Tokens: A Play on the Plaque“ war verwirrend, amüsant, bedrückend, aber irgendwie auch großartig. Den Abschluss des Festivals machte das Lied 4.33 von John Cage, performt vom Stadtensemble. Ein trefflich gewähltes Stück nach einer Woche voller Menschen und Eindrücke. Neben den Stücken waren auch immer wieder die Begegnungen und Gespräche wertvoll. Und für alle, die es verpasst haben oder auch nochmal reinhören wollen, gibt es unter folgendem Link ein paar Programmpunkte zum Nachhören:

https://event.muensterstream.de/mediathek/

Und hier nochmal das gesamte Programm etwas strukturierter zum Nachlesen:

https://festival-der-demokratie.org/programm