Dierk Seidel

Edda und das Nichts

Edda schwang sich auf ihr Mountainbike und rief zum Schuppen, in dem ihr Vater etwas werkelte:

„Fahre zum Strand.“

Ihr Vater zuckte nur mit den Schultern. Viel war ja nicht los abends in den Ferien, das wusste er auch. Sie fuhren nicht weg. Im Sommer bot er Waltouren an.

Edda fuhr ihre Tour jeden Abend. Aus ihrer Siedlung fuhr sie die Borgargerði entlang zum schwarzen Strand von Sauðárkrókur. Sie schob ihr Rad über den Sand und inspizierte den Strand.

Das Wasser war zeitweise fast türkis. Manchmal gab es stärkere Böen und die Wellen schwappten an Land. Sie schäumten nur selten, aber oft brachten sie große Stücke Treibholz mit an Land. Edda hatte einen Blick dafür, welche Hölzer schon länger unterwegs waren. Aber eigentlich interessierte sie sich nicht dafür. Am Strand waren Treibhölzer, Muscheln, schwarzer Sand, ein wenig angespülter Plastikmüll, ein paar Pflanzen und sonst war da nichts. Edda lehnte ihr Rad an sich selbst an und bückte sich hinunter. Sie hob eine Muschelschale hoch. Befreite sie von Sand und legte sie wieder hin. Edda sammelte keine Muscheln.

Am nächsten Abend fuhr sie wieder zum Strand. Sie schob ihr Rad durch den Sand, ihr Rad fiel fast hin, aber das war ihr egal. Ein Pärchen parkte seinen Kleinwagen am Parkplatz neben dem Strandeingang, den Edda abends nahm. Sie war kurz vor dem Paar an den Strand gekommen und hatte ungefähr fünfzig Meter Vorsprung. Sie ließ Sand durch die Finger gleiten. Das Paar lief an ihr vorbei. Der Mann lächelte nett, sie lächelte zurück. Er fragte sich, was sie dort machte. Am Strand waren Treibhölzer, Muscheln, schwarzer Sand, ein wenig angespülter Plastikmüll, ein paar Pflanzen und sonst war da nichts. Das Pärchen war weit davongelaufen. Edda blickte aufs Meer und sah ins Nichts. Dann fuhr sie nach Hause. Wie jeden Abend. Sie legte sich auf ihr Bett und schloss die Augen und betrachtete ihre Sammlung.

Edda sammelte keine Muscheln, keinen Müll und kein Holz, keine Pflanzen, sie sammelte das Nichts.