Dierk Seidel

Der Shitstorm

„Wir drehen die Geschichte, so wie wir es gerade brauchen, aber nur so weit, wie gerade nötig. Wenn wir zu viel drehen, drehen wir uns im Kreis und kommen nicht voran.“

Das waren die Worte von Richard, dem 1. Ortsvorsteher der kleinen Gemeinde Ochtendorf, die er zu seinem Stellvertreter Rudi sagte, nachdem er sich nach einer Begrüßung der Bürgerinnen und Bürger von den Mikrofonen der Presse weggedreht hatte. Das Dorfgemeinschaftshaus der kleinen Gemeinde Ochtendorf war voll und alle überlegten fieberhaft, wie sie die Scheiße wieder loswerden könnten.

„Wir könnten Neuerungen ankündigen“, sagte Rudi zu Richard.

„Was denn für Neuerungen? Wir müssen erstmal den alten Mist loswerden.“

Es war ein langer Tag gewesen. Schon um fünf Uhr morgens, als das Ehepaar Meyerhoff seine Kühe melken wollte, sah es am Horizont das Unheil nahen. Nachdem alle 23 Kühe gemolken waren, saßen Herr und Frau Meyerhoff beim Tee zusammen am Frühstückstisch und Frau Meyerhoff scrollte durch ihre Facebooktimeline.

„Sie sagen, man sollte die Fenster schließen, da schimpfen gerade alle über die Regierung, da läuft irgendeine Scheiße, aber ich steig da noch nicht durch.“

„Wieder so ein Shitstorm?“, fragte ihr Mann.

„Scheint so.“

Plötzlich klatschte etwas ungefähr 30 cm Breites und 20 Zentimeter Langes an die Küchenscheibe.

„Oh, Gott“, rief Herr Meyerhoff, „ist das ein Kuhfladen?“

Sie standen beide auf und starrten nach draußen und griffen dann die Hand des jeweils anderen.

Herr Rüttel, der Dorfpolizist, wollte um 7 Uhr seine erste Runde durch den Ort machen. Als er Richtung Tür lief, merkte er schon, dass draußen ein ordentlicher Sturm durch den Ort fegte. Er drückte seine Dienstmütze etwas fester auf den Kopf, öffnete die Tür und erschrak. Draußen wehten abertausende Kuhfladen durch die Gegend und legten sich auf die Stadt. Herr Rüttel schloss Tür und legte sich wieder hin.

Wenige Stunden später hatte sich der Sturm gelegt und Richard und Rudi, die Ortsvorsteher standen auf dem Marktplatz. Hinter ihnen stand eine aufgebrachte Meute.

„Schöne Scheiße ist das“, sagte Rudi.

„Wer macht das wieder sauber?“, fragte Gundula.

„Wir finden schon eine Lösung“, sagte Rudi.

„Ich habe gestern Abend Wäsche aufgehängt, die muss mir jemand ersetzen“, sagte Andreas. Andreas trug immer sehr weiße Hemden.

„Heute Abend 18 Uhr im Dorfgemeinschaftshaus“, rief Richard. Und dann gingen alle nach Hause. Die Kirche fiel heute aus, ein Kuhfladen hatte die Glocke verklebt und so ruhten sich alle zu Hause aus und waren gespannt auf den Abend.

Abends war das ganze Dorf vor Ort.  Nach der Begrüßung ergriff Hans-Dieter, der Dorfälteste, das Wort: „Man kriegt das Dorf aus der Scheiße, aber nicht die Scheiße aus dem Dorf, was seid ihr eigentlich vor Ortsvorsteher, macht mal was.“

„Wir haben doch auch keine Ahnung, woher der Mist kommt“, erwiderte Rudi.

„Bestimmt von unseren Nachbarn aus Dochtendorf“, rief Gundula.

„Wie sollen die denn so einen Wirbel erzeugen?“, fragte Herr Meyerhoff.

„Egal, die sind schuld“, erwiderte Gundula.

Richard ergriff das Wort: „Morgen ist ein Werktag, dann können wir den Mist wegmachen, wir sammeln alles auf Anhängern auf dem Dorfplatz und bringen es nach Dochtendorf.“

„Ja, das machen wir“, riefen alle.

Zwei Tage später titelte die Kreiszeitung: Shitstorm aus Ochtendorf erzürnt nun auch Dochtendorf.

Das Dorfgemeinschaftshaus der kleinen Gemeinde Dochtendorf war voll und alle überlegten fieberhaft, wie sie die Scheiße wieder loswerden könnten.