Dierk Seidel

Das BfBG

Aleyna und Timo Bukowski fuhren mit ihrem kleinen Pritschenlastkraftwagen die Bernauer Straße entlang. Sie waren erst vor Kurzem in diesen kleinen Stadtstaat gezogen und holten noch immer Gegenstände aller Art aus ihrem Lagerhaus, das auf der anderen Grenzseite in ihrem früheren Heimatland lag. Heute transportierten sie Bilder. Gemälde jedweder Couleur. Sie waren teilweise zum Verkauf gedacht und zum Teil waren sie schon verkauft, mussten aber noch verschickt werden. Das wollten Aleyna und Timo von ihrer neuen Wohnung aus erledigen. Der Versand aus ihrem neuen Land war günstiger. Es rechnete sich trotz Fahrtkosten.
Die Straße war grau und staubig. Sand wirbelte hoch. Wenige Menschen waren zu sehen und die wenigen schienen in Eile zu sein.
„Mach mal das Radio an“, sagte Timo.
„Gerade schon versucht, kein Empfang.“
„Das liegt bestimmt am Staub, ich kann auch kaum was sehen.“
Da schrie Aleyna: „Achtung! Vorsicht! Da steht jemand.“
Timo machte eine Vollbremsung und betätigte danach den Hebel für die Scheibenwischer. Vor ihnen stand ein großer, sehr schmaler Mann in Polizeiuniform.
„Guten, ich muss sie mal, geben Sie mir Schein und Fahrzeug“, sagte er.
„Wir sollen Ihnen unser Fahrzeug geben?“, fragte Aleyna.
„Was, wie, nein. Sie kommen wohl nicht von hier. Ich meine Führerschein und Fahrzeugpapiere.“
„Ach so, hier, bitte.“
Timo überreichte alles.
„Warum werden wir kontrolliert?“
„Reine Routine“, erwiderte der Polizist auf Timos Frage.
„Was transportieren Sie?“
Er zeigte auf die Ladefläche.
„Ein paar Gemälde. Nichts Besonderes.“
„Na, das können ja alle sagen. Sind es ihre Bilder?“
Beide nickten.
Timo: „Quasi ja.“
„Quasi? Das macht mich stutzig. Ich muss dringend aufgrund eines Verdachts fragen, Frau und Herr Bukowski, kann es sein, dass Sie gegen das Bilderfremdbeförderungsgesetz verstoßen?“
„Das was?“, fragten beide.
„Das Bilderfremdbeförderungsgesetz. Ich erkläre es Ihnen. Das BfBG sagt aus, dass es verboten ist, Bilder zu transportieren, die nicht ihre eigenen sind. Streng verboten.“
„Äh, wie machen das zum Beispiel Kunsthändler und Kunsthändlerinnen?“, fragte Timo.
„Die sind auch verboten. Also frage ich nochmal: Sind es Ihre eigenen Bilder?“
„Aber sowas von!“, rief Aleyna.
„Und was machen Sie mit so vielen Bildern?“
Nun wurde Timo kreativ:
„Wir wohnen noch nicht lange hier und können uns immer so schwer im Hinblick auf unsere Einrichtung einigen. Zum Glück haben wir auf der anderen Seite der Grenze ein kleines Lager und so können wir immer wieder hin und her fahren und verschiedene Möbel und Dekorationen ausprobieren. Ein Glück kostet Benzin hier so gut wie nichts.“
„Ja, da haben wir großes Glück. Ihre Aussage klingt plausibel. Ich werde Meldung machen, dass Sie immer ohne Probleme fahren können. Gute Weiterfahrt und leben Sie sich gut ein.“
„Danke, Herr Wachtmeister. Vielen Dank.“, sagte Timo.
Nach ein paar Metern prusteten beide los und Aleyna sagte:
„Bilderfremdbeförderungsgesetz, so ein riesiger Humbug.“
„Egal, verdammtes Glück haben wir gehabt.“

Sie bogen an der nächsten Kreuzung ab, der Staub verschwand. Sie blickten in die Abendsonne und näherten sich ihrem neuen Zuhause.