Alexander Thinius

Zweiter Brief, in dem Alex Frieden mit seinem inneren Klammeraffen schließt

Liebe Ente,

weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, wie leicht und einfach alles ist, wenn man sich in Projekten statt Bands organisiert? Niemand müsse sich mehr sorgen, dass die Einheit der einen Band kaputt geht, wenn einer eine Andere hat! Und das stimmt natürlich auch.
Leider eben nur auch. Denn obwohl die Mehrgleisigkeit, der Poly-Modus, nicht so schlimm ist, wie der Einheitsfanatiker in mir es sich vielleicht mal vorgestellt haben mag – an der Angst vor dem Fremdgehen und einen bzw. eine Andere haben, ist ja auch etwas dran.

Die Sorge hat ihre Wurzeln in einer Erfahrung, die wir alle machen können. Vielleicht kann ich es so verstehen: Was mich dazu bringt, mich immer und immer wieder verlässlich um etwas oder jemanden zu kümmern, und zumindest etwas Zeit und Aufmerksamkeit her zu schenken, sind Bindungen des Interesses. Und diese sind nicht einfach von vorneherein stabil. Wenn sie das wären, bräuchte man keine Angst davor haben, sich auseinander zu leben. Wenn ich mich näher mit etwas beschäftige, werde ich bestimmt mehr Interesse daran finden – und mich vielleicht von meinen bisherigen Freunden entfernen. Und das ist es, wovor man sich fürchtet, wenn man den Freund am liebsten in Ketten legen würde.

Die Band AlerusjonZum Beispiel in der Musik: Durch mein steigendes Interesse für tonale Reibung, ungerade Takte und solche Sachen würde es irgendwann schwer für meine erste Band, in der es vor allem darum ging, runden und eingängigen Ausdruck in soliden Songs zu finden. Oder, wenn ich mich immer mehr für Stille zu begeistern beginne, dann wird meine Rockband mich nach einer gewissen Zeit nicht mehr interessieren.
Sehr intensiv kann man sich ohnehin nur einer begrenzten Zahl von Projekten zugleich widmen – die Lebenszeit ist nun mal begrenzt, und wenn man zu weit oder zu lange von einer bestimmten Beschäftigung weg gewesen ist, hat man erst einmal ziemliche Schwierigkeiten, sich wieder richtig einzustimmen.
Es liegt also schon auch eine reale Gefahr im Poly-Modus von Beziehungen – die Gefahr, dass sich etwas im Partner, Freund, Mitmusiker verändert; dass sich der Freund ein zu Hause an einem Ort einrichtet, an den man selbst nicht mitkommen kann oder will. Die Angst vor der Notwendigkeit von Trennung. Auch wenn es toll ist, wenn gute Beziehungen ewig wä(h)ren und man daran arbeiten kann und sollte, um dies zu erreichen – wenn es der einen Pflanze so wichtig ist, in die Höhe zu wachsen, sie aber der anderen das Licht nimmt, wird sich bestimmt ein besseres Arrangement für beide finden.

Aber solange man den Eindruck hat, dass man gut miteinander auskommt, braucht man auch Mittelchen, um diesen schönen Zustand so lange wie es eben gut ist zu halten. Eine Art und Weise, um alle bei der Stange zu halten und gemeinsam etwas zu unternehmen, ist, sich ein Ziel zu setzten – ein großes Konzert spielen oder ein Album aufnehmen zum Beispiel; eine andere Technik ist, sich über eine Leidenschaft, über Idole oder Traditionen, Werte, etwas zusammen machen oder sich auf andere Art in etwas Gemeinsamem zu bestätigen. Alerusjon hat verschiedene solche Schilder, die je nach Situation hochgehalten werden können: „Improvisation und Performance ist toll“ steht auf einem; „Wir machen so ganz grob Latinstyle“ oder „Brasilianische Musik“ – das sind die Themen, in die wir immer mal wie in einen Refrain einsetzen, wenn wir gerade nicht mehr so genau wissen, was wir da eigentlich tun, warum wir es tun und wie wir uns für das nächste Stück fokussieren können.

Alerusjon machen also Latinstyle oder Brasilianische Musik? Was das ist und inwiefern man so etwas über Alerusjon überhaupt sagen kann, will ich dir nächstes mal erzählen.

Liebe Grüße
Alex

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