Malte Klingenhäger

Tief unten

10-2016-malte-klingenhaeger-kurzgeschichte-tief-untenDie 1000 Meter sind geknackt. Kaum wahrnehmbares Dämmerlicht umscheint das Tauchboot. Die Scheinwerfer sind längst an, sonst wäre mir noch langweiliger. Den feinen Unterschied, als ich endgültig die Lichtgrenze des Wassers durchtauche, nehme ich deswegen gar nicht mehr wahr. Beim ersten Mal, da habe ich noch gewartet, gehofft, das Meer versuche mich von sich aus zu begeistern. Da fühlte ich mich noch wie ein Eindringling, wollte nicht stören, solange es noch nicht sein musste, wollte staunen, in Ehrfurcht erstarren. Inzwischen polter ich hier hinunter, als wäre ich die beste Freundin der Tiefsee, bereit für ein Bier, Horrorfilme und Gespräche über Männer und schlechten Sex.

Tiefer als 5000 Meter muss ich heute nicht. Muss ich nie. Tiefer geht es nur für berühmte Regisseure oder Tauchroboter. Ich bin Ingenieurin, ich teste diese Tauchboote bloß. Ich teste sie für Leute wie meinen Mann, den Meeresbiologen, der sich in den Nächten vor meinen Tauchgängen jedes Mal nervös an mich klammert, als würde er mich bald für immer verlieren. Er kann meine Furchtlosigkeit nicht nachvollziehen, ich kann sie ihm nicht erklären – will sie ihm nicht erklären. Es ist ja auch nicht so, dass ich bei den ersten Malen nicht aufgeregt gewesen wäre. Da sind ja all diese Risiken: der hohe Druck, die Fehlerquote von Mensch, Maschine und Software. Vor allem will ich aber einen guten Job machen, habe Versagensängste wie jeder Mensch. Bloß diese Angst vor der Enge, der Dunkelheit, der Einsamkeit im Tauchboot, die einem immer unterstellt wird – die habe ich nicht. Für mich ist es bloß eine weitere Schale, die ich bewohne und was ‚ich‘ bin, hat mir noch niemand schlüssig erklären können. Ich weiß nur, dass ‚ich‘ in meinem Körper lebe. Ich schaue aus meinen Augen heraus, höre durch meine Ohren hindurch, lasse meine Arme regelmäßig mehr Kaffee in meinen Schlund kippen, als mein Magen fassen möchte. Im Boot gucke ich aus dem Glas hinaus, geben mir die Sonarsensoren auf die Ohren und wenn ich endlich am Meeresgrund angekommen bin, lasse ich die Greifarme Bodenproben in die dafür vorgesehenen Druckbehälter schaufeln. Wenn es unterwegs ein Leck gäbe, wäre ich tot, bevor ich Schmerzen spüren könnte. Den Tauchgang über lungere ich nur rum, checke ab und an die Werte. Mein Auftrag: Leben – mehr nicht. Das Boot bloß eine weitere Schale um mich, auch nicht viel einsamer, als durch die Welt zu wandeln.

Für mich ist das kein Drama, mit anderen Menschen ‚eins-werden‘ höchstens eine Annäherung. Es mindert meine positive Sicht aufs Leben nicht. Beobachten macht auch Spaß. Aussprechen würde ich es trotzdem nicht. Es klänge den meisten zu trübselig, fast suizidal, Leute würden sich vielleicht angegriffen fühlen. Allen voran mein Mann, dem ich ihm erklären müsste, dass er Abends gegen eine Einsamkeit anzukuscheln versucht, die wir Menschen nie werden überwinden können.

Ich hätte mich vor kurzen dann doch beinahe verplappert – zumindest ein wenig. Ein Interview für ein Tauchmagazin, „Starke Frauen unter Druck“ oder ein ähnlicher Hirnfurz. Ich hatte gehofft, es wäre schriftlich, war es aber nicht. Der Redakteur kam persönlich vorbei, legte ein Diktiergerät auf den Tisch und ließ sich von mir einen Kaffee apportieren, während er noch etwas mit meinem Mann plauderte. Als er sich dann irgendwann doch daran erinnerte, dass er eigentlich über mich schreiben wollte, lösten Diktiergerät und die Anwesenheit meines Mannes tatsächlich eine Art Beklemmung in  mir aus und ich konnte durch eine geschickte Transferleistung authentisch wirkend erklären, wie ich die Angst vor der der dunklen, menschenfeindlichen Druckumgebung des Wasser, die einen so einsam fühlen lässt, mit dem professionellen Teil meiner Psyche unterdrücke. Und wie ich diese Sätze spreche, bemerke ich aus dem Augenwinkel, wie mein Mann die Stirn kraus zieht. Er kennt mich besser. Er durchschaut die Lüge. Er weiß nicht alles, aber er weiß genug und ich bekomme Angst, dass er sich einmischt, mich spätestens nach dem Interview darauf ansprechen wird. Aber das tat er nicht, nie. Er hat mein Geheimnis mit mir gewahrt, wahrt es immer noch und das ist eine Erinnerung, mit deren Hilfe ich ein Gefühl der Verbundenheit jederzeit abrufen kann, wenn ich ihm ein ehrliches Lächeln schenken will. Jetzt zum Beispiel, nur noch 70 Meter über dem Meeresgrund.

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