Torsten Schoeneberg

Menschen: Marco oder Mario

Marco oder Mario heißt er, das habe ich nicht verstanden und traue mich später nicht nachzufragen. Er war schon als Erasmus-Student lange in Polen gewesen, spricht daher auch polnisch; hat nun in seiner Heimatstadt Mailand den Doktor gemacht und heute, gerade heute – hier schau! – die Zulassung bekommen, in Polen als Arzt zu arbeiten. Warum gerade Kattowitz? Warum nicht. Mit langgezogenen Vokalen spricht er englisch, mit Bedacht und Pausen, um keine Fehler zu machen. Er sitzt aufrecht auf dem Bett, groß, schlank, kurze schwarze Locken über einem breiten runden Gesicht. Er trägt schwarz und schaut noch einmal auf sein Handy, ob sich das Mädchen von gestern noch meldet, aber er sagt, er glaubt nicht daran. Zehn Tage um den Termin der Zulassung herum habe er sich genommen, um einiges andere zu klären, Freunde in Polen zu besuchen, sich nach einer Wohnung umzuschauen. Die nächsten drei Monate sei er aber noch in Italien. – Sechs Monate reise ich? Er schaut verwundert auf mein Gepäck. Aber … wie mache ich das denn mit der Kleidung?

06-2015-Torsten-Schöneberg-Kurzgeschichten-Menschen-Marco-oder-MarioSie meldet sich nicht. Er steht auf und sagt, er müsse jetzt mit der Rezeptionistin unten reden, sie sei einfach zu schön. Hätte ich sie gesehen? Wenn er jetzt nicht versuche, mit ihr zu sprechen, würde er sich schlecht fühlen. Ob ich das Gefühl kennte? wenn da eine schöne Frau sei, er würde dann wirklich eine Schuld fühlen, guilt, sagt er, wenn er nicht mit ihr spräche.

Nach kurzer Zeit kommt er zurück aufs Zimmer, ach, sagt er, sie habe schon so ein Gesicht gezogen, das würde nichts. Sitzt wieder auf dem Bett. Eigentlich sei seine Geschichte eine andere, sagt er: Er wollte mit seiner Freundin zusammenziehen, einer Polin hier aus Kattowitz, seit neun Monaten waren sie zusammen. Aber als sie sich Montag wiedersahen, hat sie Schluß gemacht. Jetzt müsse er sich eben alleine eine Wohnung suchen. Schade sei es schon. Länger als neun Monate hätte keine seiner Beziehungen gehalten, das sei wohl das Maximum. Sie habe ein kleines Kind. Es war schön sie zu sehen – beide, sagt er. Sicher finde er bald eine neue, hier sei es wirklich leicht, man brauche nur in eine Bar zu gehen und, eigentlich, nur man selbst zu sein, dann lerne man schon Mädchen kennen. Viele schöne Polinnen gebe es (gibt es). Es sei leicht. Natürlich nicht gleich bis zum Endziel, aber seit er hier ist, habe er ja schon an zwei Abenden Dates gehabt, heute könnte er auch, aber er habe jetzt keine Lust. Morgen reise er aus dem Hostel ab.

Später kommen die beiden Briten, die in Stuttgart Maschinenbau studieren, ins Zimmer, ihn hatten sie noch nicht kennengelernt. Er erzählt auch ihnen von seinem Erasmus-Studium und zeigt auch ihnen seine heute erhaltene Zulassung. Zwei Promovierte auf dem Zimmer, lachen die Briten. Ein Arzt, der im Hostel wohnt, lachen sie. Ich erzähle, daß im Hostel in Istanbul ein junger türkischer Kinderarzt wohnte, der zwischen seinen 30-Stunden-Schichten nur Zeit zum Schlafen, nicht zur Wohnungssuche hatte; und in Athen im Hostel war unter den syrischen Flüchtlingen auch ein Kinderarzt.

Er sei ja hier, um eine Wohnung zu suchen, sagt er. Aber wohl doch erst für den Sommer – vielleicht, sagt er. Jetzt habe er noch drei Monate in Italien, wer weiß schon, was da passiere.

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