Malte Klingenhäger

Auf belanglos vielen Wegen

Hallo, junge Dame, Sie gestatten, dass ich mich zu Ihnen setze? Der Sänger und ich, wir wollen mit unserem Auftritt noch etwas warten, es ist noch zu leer. Ich habe Sie schon einmal hier gesehen, da dachte ich, man könnte etwas plaudern. Sie haben vor einigen Tagen doch auch hier gespielt, Mandoline, wenn ich mich nicht irre. Sehr virtuos, etwas Besonderes. Nicht so wie ich mit meiner Gitarre. Mich haben Sie dann ja ebenfalls spielen sehen. Vielmehr ist zu mir auch nicht zu sagen. Wäre ich eine Schüssel, hätte ich einen Sprung. Wäre ich untergetaucht, würden mich meine Eltern – Gott habe sie selig – auch uneingeweiht verleugnen. ‚Hart‘ ist für mich nur noch ein Wort aus einer erektilen Vergangenheit. Also machen Sie sich keine Hoffnungen. Aber einen Drink mag ich Ihnen trotzdem ausgeben. Ich habe das Gefühl, als müsste ich Sie für die Zeit, die ihnen mein Gerede stiehlt, entschädigen. Wirt?!

Bebilderung-Viele-Wege-Belanglos-720pSchauen Sie nicht so mitleidig. Mir geht es gut. Ich mache mir keine Sorgen mehr. Sie aber sollten das tun! Sie haben eben erzählt, Sie würden Ihre Musik gerne professionell spielen, bloß noch nicht an Ihren Erfolg glauben. Sie wissen schon, als der Moderator Ihnen daraufhin sagte, dass Sie das auf jeden Fall schaffen. Dieses kleine Appetithäppchen für Ihr Ego. Lassen Sie es bloß nicht abbeißen, lassen Sie sich Ihre Angst bloß nicht relativieren, denn das sind Wege ohne Wiederkehr. Ich weiß wovon ich spreche. Ich war auch mal jung, mäßig schön, tatsächlich Haupthaar, aber ein Panoptikum der Mittelmäßigkeit. Kein finanziell melkbares Talent, dass mich vor der Lebensangst hätte schützen können, bloß halbwegs flinke Finger an der Gitarre, was in jungen Jahren bei den Mädchen immerhin nicht nur die Kaution hinterlegt, sondern eine Weile auch die Miete zahlt. Aber das sind nur Angebereien am Rande. Viel gravierender ist, wie früh ich verstanden habe, dass jedem Mensch die Mittel fehlen, um all den Unzulänglichkeiten, die er zu haben glaubt, um all den fiesen Fragen, mit denen sich das Ego selbst torpediert, etwas entgegenzusetzen. Und wissen Sie, wohin ich mich geflüchtet habe? Ins große Ganze. Oh, und den Schnaps. Wirt?!

Ins große Ganze jedenfalls, an die Grenzen meines Geistes, an die Ahnung von Allem und wenn das nicht reichte, um in der Watte der Belanglosigkeit zu versinken, noch hoch und runter in der Zeit. Notfalls das ganze Universum, die eigene Existenz und so. Das Gefühl, das einen bei solchen Gedanken befällt, das sollte einem die Flausen austreiben. Ist wohl bei jedem ein anderes. Bei Ihnen vielleicht lustig, bei dem Typen, mit dem ich hier bin, ist es melancholisch. Ich selbst fühle mich eher peinlich berührt, am falschen Ende eines Witzes, über den man dann trotzdem lacht. So wie wenn man eine Weihnachtskugel – so eine runde glänzende, in der man sich spiegelt – wenn man so eine Kugel halt an der falschen Stelle aufhängt und sich plötzlich im Lieblingssessel selbst beim Masturbieren zuschauen kann. Dieser Augenblick, in dem einem klar wird, was man da grade beobachtet … Ach, tut mir leid. Wollte nicht faseln. Wichtig ist bloß, dass dieses Gefühl und Verständnis bei jedem Menschen im Bauch sitzt und nicht im Kopf, das macht es ja so mächtig. Da kann sonst nur ein Martini mithalten, nur hat man von denen irgendwann genug. Aber jetzt noch nicht. Wirt?!

Sie haben nicht ganz unrecht. Alkohol, Angst, Krise – das hängt sicherlich zusammen. Aber so habe ich das nie gesehen. Ich habe mir erhofft, dass in diesem Anspruchsvakuum der Vergänglichkeit, diesem Bällebad des Schulterzuckens, dass ich da nicht mehr viel Antrieb brauche, um glücklich durch mein Leben zu treiben. So ganz ohne Reibung eben. Nur ich und kleine Ziele, meinetwegen viel Arbeit, Familie, aber keine Angst, keine Getriebenheit, kein Frust. Aber so läuft das nicht. Wenn man zu den Menschen gehört, die mit ihrem Anspruch an das Leben ein Problem haben, dann kann man sich nicht in die Anspruchslosigkeit flüchten. Auch wenn der Weg dorthin damit gepflastert ist – die Richtung, in der das Glück eines Menschen liegt, ist keine logische Entscheidung. Und dann reicht ein Schritt. Ich wollte Musiker werden und bin fast daran verzweifelt. Dann habe ich mir klargemacht, dass Musik eigentlich nichts bedeutet, weil Schall sich wieder verliert, man selbst mitsamt des Publikums untergehen wird, die Erdkugel ungerührt weitersaust, Monologe vorbeiflattern, Zeit vergeht, dust in the wind – aber der Anspruch, der vergeht nicht. Der wird in seiner Unerreichbarkeit immer größer, wirkt dadurch aber bloß erstrebenswerter. Man malt sich das Besondere, Einzigartige, Ewige und damit Unmögliche aus und will es dann doch nur umso mehr. Erst wollte ich Musiker werden, dann der beste Musiker, der Einzige, der Ewige, Letzte und – meine Mutter warf das an dieser Stelle immer lachend ein – der lauteste. Und nun bin ich trotzdem fast am Ende.
Nicht des Anspruchs, aber meines Lebens. Mit welchem Recht rede ich Ihnen da Ihre Träume aus. Das schreit schon fast nach einer Entschuldigung. Wirt?!

Mir ist, als rede ich mit mir selbst. Verzeihen Sie, aber so ist das manchmal. Ein Monolog bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Gespräch hinter einem liegt und man sich aus seinen Erinnerungsfetzen zusammenbaut, was der andere gesagt haben könnte. Soweit möchte ich es gar nicht kommen lassen. Außerdem ist es inzwischen ja schon etwas voller geworden, wahrscheinlich sollten wir bald spielen. Bleibt auch tatsächlich nicht mehr viel zu sagen. Außer, dass ich Sie nicht angelogen habe. Es geht mir gut, ich habe keine Sorgen mehr, aber das liegt bloß daran, dass mein Ende absehbar ist. Ich kann das Experiment meines Lebens erfolgreich als gescheitert betrachten. Die endgültige Belanglosigkeit ist erreicht, heute ist mein letzter Auftritt. Ab nächster Woche wird ein jüngerer Gitarrist den Sänger neben sich gut aussehen lassen. Er ist sogar noch etwas jünger als Sie, natürlich nicht halb so schön. Aber wie wäre es, wenn wir noch einen auf euch beide trinken? Wirt?!

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